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Von Seilen zu Geotextilien mutiert

In den Tälern des Glarnerlands befinden sich zahlreiche Orte, die vom Pioniergeist ihrer Bewohner erzählen. Von grossen Erfolgen, Rückschlägen und Niedergängen. Die «Glarner Nachrichten» nehmen Sie mit auf die Spuren einer faszinierenden Industriekultur.

Südostschweiz
13.01.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Oben das klassizistische Wasch- und Farbhaus mit seinen Säulen und dem Dreieckgiebel in Mollis. Unten eine Ansicht der Näfelser Fritz Landolt AG von 1920.
Oben das klassizistische Wasch- und Farbhaus mit seinen Säulen und dem Dreieckgiebel in Mollis. Unten eine Ansicht der Näfelser Fritz Landolt AG von 1920.
SASI SUBRAMANIAM

von Gabi Heussi

Seidenbänder, Baumwollstoffe und Metallwaren prägten die Blütezeit der Glarner Industrie im 19. Jahrhundert. Viele davon sind verschwunden. Fabrikhallen wurden umgenutzt, neue Start-ups haben darin optimale Bedingungen gefunden, oder die Hallen wurden in Loftwohnungen umgebaut. Andere Hallen beherbergen bis heute das ursprüngliche Unternehmen und blicken auf eine sehr lange Geschichte zurück. Entlang des Glarner Industrieweges sind die ehemaligen wie auch die aktiven Unternehmen sichtbar und zeigen die enorme Vielfalt, die einst in der Glarner Industrie herrschte.

Was in Netstal begann, ist heute in Näfels angesiedelt: Krauss Maffei High Performance AG, früher Netstal Maschinen und von vielen bis heute als «Giessi» bezeichnet. 1856 erwarb der St. Galler Ingenieur Ulrich Rietmann-Engler zusammen mit seinem Teilhaber Ryffel das Höschetli in Netstal. Aus der ehemaligen Zigerreibe, die bereits seit 1651 bestand, wurde eine Eisen- und Messinggiesserei. Nach verschiedenen Besitzerwechseln ging das Unternehmen 1922 an die Schweizerische Genossenschaftsbank. Der neue Name, Maschinenfabrik & Giesserei Netstal AG, bürgte für Schweizer Qualität in der Herstellung von Teigwarenmaschinen, hydraulischen Anlagen und Grosswäscherei-Maschinen. 1936 beschäftigte das Unternehmen 60 Personen und wurde an Emilio Coppetti verkauft. Eine neue Ära begann 1945 mit dem Kauf einer Kunststoff-Spritzgiessmaschine. 16 Jahre später erfolgte der Spatenstich für die neuen Fabrikhallen in Näfels. Heute gehört die einstige «Giessi» zu einem der führenden Hersteller von Kunststoff-Spritzgiessmaschinen auf der Welt.

Fritz, Fritz und Fritz

Seile gehörten im 19. Jahrhundert zum täglichen Bedarf. Darin sah Fritz Landolt seine Zukunft. Für 160 Franken erwarb er 1884 Seilerwerkzeug und richtete damit gegenüber des «Schützenhof» in Näfels eine Seilerei ein. Landolt warb für «Hanfseile für alle Zwecke». Während 30 Jahren arbeitete er alleine und ohne Wasserkraft. Sein Sohn Fritz übernahm das Geschäft 1914 und erweiterte die Produktepalette durch die Angliederung einer Reisserei und später einer Spinnerei. Nach herben familiären Rückschlägen und einer Feuersbrunst 1919 gründete Fritz Landolt 1920 die Aktiengesellschaft Fritz Landolt AG. Arbeiterzahlen und die Anzahl an Fabrikhallen stiegen an. 1960 arbeiteten 295 Frauen und Männer bei Fritz Landolt AG, die seit 1954 von der dritten Generation Fritz Landolt geführt wurde. Nach der Schliessung der Spinnerei 1996 setzte das Unternehmen erfolgreich auf die Produktion von Synthesefasern und ist bis heute begehrter Hersteller von Geotextilien und Vliesstoffen.

Fabriken «im Feld» in Mollis

Im ganzen Kanton wurde nach Möglichkeit die Kraft des Wasser genutzt. Mühlen, Färbereien, Druckereien – alle bauten ihre Gebäude direkt ans Wasser, denn dieses floss in der Linth ausreichend und trieb Wasserräder an.

In Mollis war das älteste Gewerbe, das Wasserkraft nutzte, am Bodenwaldbach. Der Neffe des Begründers der Glarner Stoffdruckerei, Friedrich Streiff, richtete um 1767 an diesem Bach die zweite Baumwolldruckerei im Kanton ein. Der gute Geschäftsgang brachte es mit sich, dass Streiff knapp 20 Jahre später den Fabrikkomplex mit zwei Druckgebäuden, einem Hänggiturm und Waschhäusern vergrösserte. Auch ein dreigeschossiges Doppelhaus entstand.

Zuerst enthielt die südliche Haushälfte Büros und die Wohnung des Fabrikherrn, während im nördlichen Teil Arbeitsräume eingerichtet wurden. Die moderne Einstellung von Streiff zeigte sich darin, dass sogar für Knaben Arbeitsverträge im «Fabrique Buch» eingetragen.

Um 1830 beschäftige Streiff & Cie. 200 Personen und konnte dank der Wasserkraft auch den Walzendruck einführen. Da in der Zwischenzeit aber viele seiner Kunden in Glarus eigene Zeugdruckereien bauten, sah sich Friedrichs Sohn aus zweiter Ehe, Johannes Streiff-Schindler, 1837 zum Rückzug gezwungen.

1867 kaufte der Handelsmann Friedrich Schindler die leer stehende Liegenschaft. Schindler war mit seiner sozialen Einstellung seiner Zeit voraus. So besassen seine Arbeiter bereits ein Kassabüchlein, das bei gutem Geschäftsgang auch grosszügig bestückt wurde.

Nach dem Tod von Schindler im Jahr 1874 wurde das Unternehmen weitergeführt, 1878 aber stillgelegt. Heinrich Zingg-Schädeli richtete später hier eine mechanische Strickerei und Wirkerei für Tricot-Wäsche ein. Diese florierte als Tricotwarenfabrik Mollis bis 1987.

Die Fabrikliegenschaft ging an die Pfeiffer Immobilien AG aus Mollis, die schon seit 1860 von Caspar und Margrit Pfeiffer-Pfeiffer gegründet worden war und sich auf die Herstellung von Leib- und Bettwäsche spezialisierte. Ein Relikt aus dieser Ära ist das herrschaftliche Doppelhaus mit seinen zwei Eingängen und das klassizistische Wasch- und Farbhaus mit seinen drei dorischen Säulen und dem Dreieckgiebel.

Der Jordan in Mollis

Aus der gleichen Familie Streiff stammte Fridolin. Er verliess die Familie, als sein Vater 1791 ein zweites Mal heiratete, und gründete die Baumwolldruckerei «im Jordan» in Mollis. Das Glück war nicht auf seiner Seite, und so verkaufte Fridolin Streiff das Unternehmen zwei Jahre später an die Brüder Beglinger. Auch sie waren glücklos und stellten den Betrieb 1798 ein.

Zusammen mit dem finanzstarken Heinrich Streiff aus Glarus erwarb Druckermeister Georg Karrer die leer stehenden Gebäude «im Jordan». Im Alter von 43 Jahren verstarb Karrer 1843. Seine Witwe führte das Unternehmen weiter, übergab es später an ihren Sohn Friedrich und den Schwiegersohn Jakob Hefti. Mit dem Konkurs im Jahr 1870 verschwand in diesem Ortsteil von Mollis die Stoffdruckerei endgültig.

50 Kilometer Industriekultur
Der Glarner Industrieweg führt über insgesamt 50 Kilometer von Linthal und Elm bis nach Ziegelbrücke. Er eignet sich gleichermassen für Velofahrer und Wanderer und kann am Stück oder in Teilen erkundet werden. Unterwegs wird die Industriegeschichte des Glarnerlandes lebendig. Bei rund 50 besonders bedeutenden und typischen Anlagen sind Objekttafeln aufgestellt. Sie beschreiben in Text und Bild historische, bauliche, technische oder soziale Aspekte. Einige davon stellen die «Glarner Nachrichten» in einer siebenteiligen Serie näher vor. Heute führt der 6. Teil durch Näfels und Mollis. (red)

Das gibt es noch entlang der Strecke zu sehen:
In Mollis und Näfels befinden sich viele weitere Zeugen der Industriegeschichte. Wer durch den alten Dorfteil von Mollis streift, sieht herrschaftliche Bauten, die auf die Blütezeit der Industrie hinweisen. Im Textildruckmuseum im Freulerpalast in Näfels sind die Spuren der Industrialisierung ausführlich zu besichtigen. Dass das Unterland heute so aussieht, ist Conrad Escher von der Linth zu verdanken. Diese Geschichte ist im Linth-Escher Auditorium in Mollis aufgezeigt. Mit der Kurt Hauser AG befindet sich die einzige Konfetti-Fabrik in Näfels. Kurt Hauser installierte in den Sechzigerjahren eine Konfettistanze in seinem Wohnhaus und baute den Betrieb immer weiter aus. Bis heute auf die Wasserkraft zählt die schweizweit einzige, noch im täglichen Betrieb befindliche Hammerschmiede in Mühlehorn. (gh)

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