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«Beim Felssturz am Ortstock spielt Permafrost eine Rolle»

Am Ortstock hat sich der Staub vom Felssturz am letzten Samstag verzogen. Lukas Inderbitzin, Geologe und Naturgefahrenspezialist beim Kanton Schwyz, gibt Auskunft zur Lage. Er hat sozusagen die Gebietshoheit.

Fridolin
Rast
13.08.20 - 20:32 Uhr
Leben & Freizeit
Vom Ortstock ob Braunwald ist am 8. August ein Felspaket abgebrochen und talwärts gestürzt.
Vom Ortstock ob Braunwald ist am 8. August ein Felspaket abgebrochen und talwärts gestürzt.
Lukas Inderbitzin/Amt für Wald und Natur Schwyz

Letzten Samstag ist vom Ortstock, dem Postkartenberg Braunwalds, ein grösseres Felspaket heruntergestürzt. Dessen Volumen entspricht einem Würfel von etwa 24,7 Meter Länge. Der Berg und die betroffene Nordflanke liegen auf Gebiet von Muotathal im Kanton Schwyz. Erst das Auslaufgebiet des Felssturzes liegt auf Glarner Boden.

Förster Ruedi Stüssi von der Gemeinde Glarus Süd und Geologe Lukas Inderbitzin, Leiter Naturgefahren beim Schwyzer Amt für Wald und Natur, haben das Gebiet seit dem Felssturz mehrere Male begutachtet, zuletzt gestern.

Herr Inderbitzin, was haben Sie beim Flug zum Ortstock und bei der Besichtigung des Felssturzgebietes festgestellt?

Lukas Inderbitzin: An der Nordflanke des Ortstocks gibt es eine klar sichtbare Absturzstelle auf einer Höhe von rund 2500 Metern. Hier ist ein ganzes Felspaket herausgebrochen. Unmittelbar bergseits der Ausbruchnische sind weitere Felsinstabilitäten zu beobachten. Die gleichen Bruchsysteme und Schichtgrenzen, die das Ereignis vom 8. August erst ermöglichten, setzen sich in diesen Bereich fort.

Wie entwickelt sich die Gefahr weiter, die nun zu einem ersten Absturz geführt hat?

Wir müssen damit rechnen, dass weitere Portionen ausbrechen. Vorab sind rund 5000 Kubikmeter instabil und könnten in absehbarer Zeit abstürzen. Das kann heute passieren oder auch noch ein paar Jahre dauern.

Wie viel Fels ist heruntergekommen und wie weit sind die Steine gerollt?

Die rund 15 000 Kubikmeter Fels sind 500 bis 600 Meter durch die steile Nordwand in ein etwas flacheres Gebiet hinuntergestürzt. Ein Teil der Blöcke stürzte dann noch eine Steilstufe weiter hinunter bis Bergeten. Wir haben aber keine Blöcke beobachtet, die bis zum Wanderweg gerollt sind.

Gibt es gefährdete Wege oder Gebiete, die gesperrt werden müssen?

Über Massnahmen muss grundsätzlich die Gemeinde Glarus Süd entscheiden. Der Wanderweg vom Rieter Ortstafel zum Bergetenseeli bleibt wohl bis 2021 geschlossen. Dann wird die Situation neu beurteilt. Beruhigt sich die Situation, so kann eine Öffnung geplant werden, zum Beispiel mit flankierenden Massnahmen wie Warntafeln oder einer Verlegung des Wanderwegs.

Was sind die Gründe für den Felssturz?

Die Berge bauen sich ab, das ist ein natürlicher Prozess. «Jeder Berg neigt dazu, flach zu werden», hat einst der berühmte Geologe Albert Heim festgestellt.

Welche Rolle spielt der im Gebiet mögliche Permafrost respektive dessen auftauen?

Hier spielt Permafrost eine Rolle, wir haben in den Ausbruchsflächen Eis beobachtet. Das Auftauen des Permafrosts ist ein wesentliches Element. Solange das Wasser in den Schwachstellen gefroren bleibt, kann es den Fels zusammenhalten. Schmilzt es aber, dann nimmt die Stabilität ab.

Welche Rolle spielt die Geologie am Ortstock, der aus oberem und unterem Quintnerkalk besteht mit Mergel dazwischen und darunter?

Der Quintnerkalk ist nicht anfälliger als andere Gesteine. Die Gesteinsart beeinflusst zwar die Grösse der abstürzenden Blöcke, es spielt aber nicht die grundsätzliche Rolle. Das sieht man auch am Beispiel des Piz Cengalo im Bergell mit seinem riesigen Murgang von 2017. Er besteht aus Granit, den man für recht stabil halten würde, und ist dort doch recht brüchig. Wesentlich sind die Geländeneigung, die Strukturen und Bruchsysteme im Fels.

Wie weit nehmen die Fels- oder Bergsturzgefahren zu mit der Klimaerwärmung?

Das Ansteigen der Durchschnittstemperaturen ist ein Fakt. Also wird sich im Permafrost einiges verändern, ähnlich dem Rückzug der Gletscher. Die Instabilitäten im Hochgebirge nehmen zu und bei entsprechenden Verhältnissen kann es zu mehr Felsstürzen kommen.

Ist das Glarnerland besonders vom schmelzenden Permafrost betroffen?

Ich kann im Vergleich zu meinem Heimatkanton Schwyz sagen, dass Glarus höher gelegene und damit stärker von Permafrost durchdrungene Berge hat. Ausserdem ist das Relief noch ausgeprägter, weshalb der Kanton Glarus stärker von Sturzprozessen betroffen sein dürfte.

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