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Ein Ball, der Sport und ich

06.12.18 - 04:30 Uhr

Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Ich war knapp ein Jahr alt, hatte gerade meine ersten Gehversuche gemacht. Schon stand das erste Foto-Shooting an – im Studio, bei einer professionellen Fotografin, versteht sich. Aber Mini-Me interessierte sich weder für Geburtstage noch für Kameras, die nette Fotografin oder die vielen Lichter, die da so rumstanden. Ich machte es der Fotografin schwer, mich abzulichten, war ein hilfloser «Zappelphilipp». Das Foto gelang erst, als die Fotografin zu den Requisiten griff.  Ich erhielt einen Fussball. So einen klassischen eben, Sie wissen schon: weisser Grund mit schwarzen Sechsecken. Sobald ich das runde Leder hatte, war ich lammfromm und grinste für die Linse. Aber nur mit dem Ball. Der Sport wurzelt tief in mir. Aber der Sport hat mir auch einige meiner wertvollsten Lektionen fürs Leben erteilt. Passt ja thematisch, fand ich, heute, zum Samichlaustag, an dem jedem Kind im Land der Spiegel vorgehalten wird.

Die Fitze erhielt ich nie vom Schmutzli, obwohl meine Flegeljahre früh begannen und noch später endeten. Ich lebte in den Tag hinein, war antriebs- und ziellos, schaute zu weit voraus und zu weit zurück. Erst Jahre nachdem meine Fussballkarriere an der heftigen Auseinandersetzung mit meinem damaligen Trainer, die beide Seiten aus naivem Stolz nicht beizulegen wussten, scheiterte, besann ich mich wieder auf sportliche Tugenden: Einsatz, Durchhaltewillen, Team- sowie Kampfgeist und Leadership. Nicht mehr auf dem Platz, dafür im Leben.

Und der Sport lehrte mich noch so einige andere Dinge. Einen Tag nach dem anderen zu nehmen, etwa. Im Moment zu leben, Chancen zu erkennen – und zu nutzen. Ganz besonders wichtig, wenn Dinge nicht so laufen wie gewünscht. Niederlagen. Der Sport lehrt, sie zu akzeptieren, Leistungen anderer anzuerkennen. Er lehrt Respekt und Kritikfähigkeit. Der Sport lehrt einen aber auch, nichts überzubewerten und nie aufzugeben. Man lernt, sich noch akribischer vorzubereiten und auch sicher jedes einzelne Detail zu beachten. Nur wer sich nach bestmöglichem Wissensstand zum gegebenen Zeitpunkt entscheidet, kann sagen, er habe alles Mögliche getan, um die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Nur wer nichts dem Zufall überlässt, hat sich im Nachhinein nichts vorzuwerfen. 

Das bedingt aber, den unbändigen Willen an den Tag zu legen, besser zu werden. Eine bessere Version seiner selbst. Und in gewisser Weise auch ein besserer Mensch für jene, die einen genau dieselbe Hingabe entgegenbringen. Der Sport lehrte mich dies. Und ausserdem, nichts davon als selbstverständlich anzusehen. Nicht das, was ich über die Jahre erreicht hatte und lernen durfte – oder musste. Und auch nicht all die Chancen, die sich mir auf meinem Weg so boten. Mit allen Umwegen, die dazu erforderlich waren. Mit allen Hindernissen, welche ich überwand. 

Und jetzt, beinahe 30 Jahre später, erhalte ich wieder einen Ball zugespielt – per Steilpass von meinem Arbeitgeber. Ich bin fortan verantwortlich für die Sportinhalte bei Radio Südostschweiz. Ein Privileg für mich – aber glauben Sie nicht, Wege wären nicht vorgezeichnet. Manchmal muss man sich nur trauen, einen Umweg zu gehen, um den richtigen doch noch zu finden. Und dann hat man sich auch alles Gute verdient, was einem widerfährt.

Gian Andrea Accola ist Sportredaktor bei Radio Südostschweiz.  

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