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Trauer

Oliver
Fischer
07.06.19 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Es war ein trauriger Tag, als heute vor zwei Wochen an dieser Stelle mein erster Blogbeitrag veröffentlicht wurde. Denn es war der Tag, an dem die Stadt Chur den Atem anhielt, mehrfach leer schluckte und das Leben sehr vieler Menschen vom tragischen Tod eines Schülers während der Maiensässfahrt überschattet wurde.

Ich verbinde mit der Maiensässfahrt nur gute Erinnerungen. Erinnerungen an Lachen, Wandern, Spielen; an Bräteln, Kohle-schwarze Gesichter und an jenen einen Umzug, den ich liegend auf einer selbstgebastelten Trage geniessen konnte – weil ich der kleinste und leichteste Schüler der Klasse war. Und schon lange freue ich mich darauf, als Vater am Strassenrand zu stehen und darauf zu warten, wie mein Kind lachend, und Kohle-verschmiert durch Chur zieht.

Aber an jenem Freitag war das weit weg. Von Berufs wegen bin ich seit Jahren regelmässig mit tragischen Nachrichten, die auch Kinder betreffen, konfrontiert. Ich sollte das nüchtern und distanziert betrachten, darüber schreiben und berichten können.

Seit vier Jahren fällt mir das extrem schwer. Jedes einzelne Mal drängt sich mir der Gedanke auf: «Was, wenn das mein Kind wäre? Wie würde es mir dann gehen, wie würde ich auf eine solche Nachricht reagieren?» Es sind Gedanken, die mich an ganz düstere Orte führen, die mir unerträglich sind und die ich nicht zu Ende denken kann.

In den Tagen nach der Tragödie musste ich mich mehr damit auseinandersetzen, als mir lieb war. Nicht weil ich nicht mitfühlte, sondern eben, weil ich solche Dinge ganz ganz schlecht ertrage. Eines haben mir diese Tage aber vor Augen geführt: wie extrem unterschiedlich Menschen mit Trauer umgehen.

Innert kürzester Zeit waren Facebook-Gruppen und -Posts gefüllt mit Beileidsbekundungen auf der einen Seite und irgendwelchen kruden Vorwürfen an die Stadt auf der anderen Seite. Zu Letzterem mag ich mich nicht äussern; bei Ersterem kann ich zwar verstehen, dass man seine Anteilnahme ausdrücken und den Betroffenen Kraft und Trost spenden möchte, ich persönlich kann das aber weder aktiv machen, noch würde ich es mir als Betroffener wünschen.

Mir persönlich wären solch überbordende Social-Media-Anteilnahmen unangenehm – denke ich zumindest hier und jetzt, denn ich musste zu meinem Glück nie auch nur annähernd so schlimme Verluste erleben. Ich habe und würde das als zu laut, zu viel Lärm empfinden und für mich sollte Trauer, auch wenn sie von vielen Menschen geteilt wird, etwas Stilles sein.

Anderen Menschen geht es anders und sie gehen anders mit ihrer Trauer und Anteilnahme um, und das ist genauso richtig und aufrichtig. Am Ende kann ich nur hoffen, dass die Familie und Freunde von David aus der überwältigenden Anteilnahme etwas Trost und Kraft schöpfen können. Wenn das gelingt, ist jede Form und Ausdrucksweise dafür richtig.

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