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Vaterschaftsurlaub

Oliver
Fischer
21.06.19 - 04:30 Uhr
PIXABAY

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Ein Tag, zwei Wochen, vier Wochen – wie viel Vaterschaftsurlaub (wobei das den Namen kaum verdient) gibt es künftig womöglich, irgendwann mal – vielleicht? Am Donnerstag hat sich der Ständerat mal wieder mit dem Thema befasst.

Ich will hier nicht über ökonomische Auswirkungen, gesellschaftliche Relevanz oder Familienbilder schwadronieren und Argumente schwingen – die sind hinlänglich bekannt. Ich werde dafür von der Zeit direkt nach der Geburt meines Kindes erzählen.

Ich hatte da in mehrfacher Hinsicht grosses Glück. Erstens arbeitete ich zu jener Zeit bei einem Unternehmen, das werdenden Vätern eine Woche bezahlten Urlaub gewährt. Dann hatte ich aber vor allem einen Chef, der selbst zweifacher Vater ist, und sich sofort bereit erklärte, auf meine Wünsche einzugehen. So konnte ich es organisieren, dass ich eine Woche Ferien aus dem alten ins neue Jahr mitnahm, zwei Wochen Ferien aus dem laufenden Jahr anhängte und die Arbeitszeit einer Woche vor- oder nacharbeiten konnte. So kam ich auf sage und schreibe fünf Wochen «Vaterschaftsurlaub» unmittelbar nach der Geburt.

Für diese fünf Wochen bin ich meinem ex-Chef bis zum heutigen Tag dankbar.

Diese Zeit war für mich als Vater, meine Frau als Mutter und uns als Familie extrem wertvoll und erlaubte uns einen behutsamen Start in dieses neue Leben. Denn, sowenig wie bei mir mit der Geburt einfach ein Schalter im Kopf umgekippt wurde und ich automatisch im «Vater-Modus» war, sowenig hat meine Frau einen Schalter, der ihren «Mutter-Modus» aktivierte. Und als ich die beiden nach drei Tagen im Spital abholte und wir zum ersten Mal allein zu Dritt zu Hause sassen, war das nicht einfach Friede, Freude, Eierkuchen, sondern neben aller Freude auch zunächst einmal etwas beängstigend – da liegt dieses winzige Wesen, das zu 100 Prozent von uns abhängig ist.

Wickeln, baden, rumtragen, einkaufen, aufräumen, putzen, kochen, herausfinden und verstehen, warum das Kind weint, trösten, spielen, lachen, den ersten Spaziergang machen, zig Besuche von Grosseltern, Onkeln, Tanten, Götti und Gotte – all das konnten wir teilen. Konnten einander jederzeit unterstützen, wenn einer von uns mal eine Pause brauchte, allein an die frische Luft wollte oder zu müde war, noch dieses oder jenes zu erledigen. All das wäre sonst grossmehrheitlich eine One-Woman-Show gewesen. Klingt für mich nach keinem allzu friedlich-fröhlichen Start in die Mutterschaft, zumal die Geburtsstrapazen noch eine ganze Weile nachwehen.

Für mich bedeutete diese Zeit auch die unschätzbar glückliche und wertvolle Gelegenheit nicht einfach qua Geburt Vater eines Kindes zu sein, sondern eben Vater zu werden, mein Kind nicht nur abends kurz – und vielleicht nur schlafend – zu sehen, sondern von Anfang an für es da zu sein. Wir konnten uns kennenlernen und ich bin der absoluten Überzeugung, dass wir beide dabei das Fundament dieser innigen Beziehung gelegt haben, die uns heute verbindet.

Ich hatte Glück, konnte ich mir diese Zeit organisieren. Ich gehöre damit zu einer verschwinden Minderheit der Schweizer Männer. Ich bin aber ganz klar der Meinung, dass jeder Mann diese Zeit erhalten soll. Ja, jeder Mann hat ein Anrecht auf eine solche Zeit. Und ganz ehrlich, diese fünf Wochen halte ich für ein Minimum an Zeit, das man nach der Geburt eines Kindes als Familie gemeinsam verbringen können muss.

Die zwei Wochen, für die sich der Ständerat am Donnerstag ausgesprochen hat, sind leider kaum ein Tropfen auf den heissen Stein. Und noch schlimmer: Sollten diese zwei Wochen tatsächlich umgesetzt werden, können wir uns darauf einstellen, dass danach jahrelang (oder gar jahrzehntelang) jeder Versuch, eine ernst zu nehmende Elternzeit einzuführen – mindestens 12 Monate für das Elternpaar (wobei der Mann mindestens drei Monate davon nehmen müsste) – als Quängelei verunglimpft oder mit anderen fadenscheinigen Begründungen abgeblockt würde. Eine moderne Gesellschaft müsste es besser wissen.

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