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Die Rechte unserer Kinder

Oliver
Fischer
22.11.19 - 04:30 Uhr
SCHWEIZ KINDERRECHTE
Bundesrat Alain Berset, Mitte oben, trifft Kinder am Tag der Kinderrechte, am Mittwoch, 20. November 2019, auf dem Bundesplatz in Bern. Vor 30 Jahren verabschiedete die Uno die Konvention ueber die Rechte des Kindes. Die Schweiz hat die Kinderrechtskonven

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Am Mittwoch wurde die UN-Kinderrechtskonvention 30-jährig. In 41 Artikeln werden darin die grundlegenden Rechte, die jedes Kind auf der Welt für sich einfordern darf, aufgeführt. Die Schweiz hat die Konvention im Jahr 1997 ratifiziert, sie verpflichtet sich also, die in darin aufgeführten Rechte aller Kinder, die sich in der Schweiz aufhalten, sicherzustellen und sie zu gewährleisten.

Ich möchte hier einige der 41 Artikel herauspicken, die meiner Meinung nach in der Schweiz diskussionswürdig sind oder die ich persönlich speziell wichtig finde. Ich versuche dabei primär Denkanstösse zu geben oder Fragen aufzuwerfen, kann und werde aber nicht darauf verzichten, zu werten, zu urteilen und wohl manch eine(n) ziemlich hart vor den Kopf zu stossen.

Artikel 18

Etwas vereinfacht gesagt heisst es darin, beide Elternteile sind gemeinsam für Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich.

Dabei denke ich an Dinge wie Rollenverteilung in einer Familie: beide Elternteile müssen sich für Entwicklung, Erziehung, Förderung und Betreuung ihrer Kinder gleichberechtigt verantwortlich fühlen. Keiner darf die Verantwortung einfach auf den anderen schieben und sich zum Beispiel auf sein «Geld-Verdiener-Dasein» berufen.

Ich denke aber auch den oft vorkommenden Fall einer Trennung der Eltern. Ja, Ihr habt eure Gründe, auseinander zu gehen, mögt euch sogar abgrundtief verabscheuen. Das ist aber KEIN Grund euer Kind in den Konflikt mit reinzuziehen. Ihr seid durch Euer Kind ein Leben lang miteinander verbunden. Tragt Eure Konflikte nicht auf dem Buckel der Kinder aus  oder noch schlimmer instrumentalisiert sie, um irgendetwas für Euch rauszuschlagen. Völlig egal, was für einen *** Ihr den anderen findet, reisst Euch gefälligst zusammen, um wenigstens Eurem Kind die sowieso schwierige Trennung so einfach wie möglich zu machen.

Daneben ist aber hier auch der Staat in der Pflicht. Denn gerade im Fall von Scheidungen muss es in der Schweiz der Normalfall sein, dass das Sorgerecht grundsätzlich geteilt bleibt und nur in Ausnahmefällen anders verteilt werden darf – und nicht umgekehrt.

Artikel 19

Kinder geniessen absoluten Schutz vor jeglichen Formen körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Misshandlung oder Vernachlässigung.

So, jetzt wird es in der Schweiz hässlich. Sehr hässlich. Es gibt nämlich in der Schweiz kein Verbot von Gewaltanwendung als Erziehungsmethode. Was das im Alltag heisst: Laut einer aktuellen Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) haben über 63 Prozent der Jugendlichen im Laufe ihrer Erziehung Gewalt durch Eltern oder Erziehungsberechtigte erfahren. DREI-UND-SECHZIG PROZENT.

Eine Ohrfeige hier, einmal übers Knie dort – alles nicht so schlimm … Das ist in fast zwei Dritteln der Schweizer Haushalte offenbar die Normalität  bitte, was? Wobei das nicht nur die so genannt leichten Fälle sind (in der Studie wird von Züchtigung gesprochen). Darin sind auch die Fälle von schwerer Gewalt enthalten, wo aus einer Ohrfeige ein Faustschlag, Prügel und mehr wird.

Einfach um das zu präzisieren: Wenn ich einem Arbeitskollegen eine reinhaue, kann er mich anzeigen und ich muss mich wegen Körperverletzung verantworten. Wenn ich aber meinem 4,5 Jahre alten Kind eine reinhaue, dann erziehe ich es  aber sonst geht's noch?

Artikel 21

Im Falle von Adoptionen stellen Behörden sicher, dass dem Wohl des Kindes die höchste Bedeutung zugemessen wird.

Liebe CVP, dem Wohl des Kindes. NICHT dem Geschlecht der Adoptiveltern.

Artikel 24

Kinder geniessen das Recht auf das erreichbare Höchstmass an Gesundheit. Der Staat stellt sicher, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu geeigneten Gesundheitsdiensten verweigert wird.

Hallo Impfgegner, das geht an Euch. Hallo Homöopathie-Gläubige, das geht an Euch. Hallo Freikirchler und Zeugen Jehovas, das geht Euch an. Wenn Ihr Euch mit Euren Hirngespinsten selbst schädigen wollt, ist das Eure Entscheidung. Aber Eure Kinder haben trotz Euch das Recht auf angemessenen Impfschutz, wirksame Medikamente, wenn benötigt und Bluttransfusionen, wenn es um Leben oder Tod geht.

Übrigens lautet Punkt 3 dieses Artikels: «Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Massnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.»

Artikel 27

Jedes Kind hat ein Anrecht auf einen seiner Entwicklung angemessenen Lebensstandard.

Hallo SVP Bern (und weiterer Kantone), Ihr wart doch jene, die Sozialleistungen für die ärmsten und schwächsten Mitglieder der Gesellschaft mal eben unter das absolute Überlebensminimum senken wolltet?

Artikel 39

Jeder Staat ist verpflichtet Massnahmen zu ergreifen, damit Kinder, die Opfer von Ausbeutung, Misshandlung, Folter oder bewaffneten Konflikten geworden sind, physisch und psychisch heilen können. Und: Das muss in einer Umgebung passieren, die der Heilung, der Würde und Selbstachtung der Kinder förderlich ist.

Hallo SVP, Hallo Ihr Migrationsverängstigten – wir sind das reichste, stabilste und sicherste Land der Welt. Es ist unsere Pflicht, als die privilegierteste Minderheit der Menschheit, Menschen und gerade Kindern zu helfen, die ohne jedes eigene Verschulden in den schlimmstmöglichen Umständen leben mussten. Wenn Ihr das nicht verstehen und anerkennen könnt, solltet Ihr eventuell mal an Eurem moralischen Kompass schrauben.

Und dazu abschliessend noch dies:

Artikel 2 (ungekürzt)

(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.

(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Massnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäusserungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.

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Lieber Oliver,

Vielen Dank für diesen beherzten, klaren und vor allem menschlichen (!!!) Beitrag !!
Es ist schön, wenn sich Menschen trauen Tacheles zu schreiben und ich hoffe dass dieser
Artikel viele Leser*Innen erreicht. Ich gehöre zwar auch zu den Hömopathie-Gläubigen ;-), aber
da ich finde dass sie sich mit Schulmedizin an der richtigen Stelle super verträgt kann ich es so lesen wie
es (glaube ich) gemeint ist.

Liebe Tina

Es freut mich, dass mein "Tacheles reden" ankommt. Dieses Tacheles bezieht sich aber durchaus auch auf die Homöopathie-Aussage. Ist ein Kind (Mensch) krank, braucht es Medizin, die wirkt. Hat ein Kind ein Wehwehchen kann ich den Placebo-Effekt auch anders erreichen als mit Zücker-Kügali.

Ich bin in da auch sehr klar der Meinung, dass Homöopathie im Leistungskatalog von Krankenkassen nichts, aber auch rein gar nichts verloren hat.

Oliver

Lieber Oliver Fischer. Schön, dass Sie in der bunten neuen Welt des alles Möglichen angekommen sind.
Solange für Kinder Rechte eingefordert, aber deren Pflichten nicht mit gleichem Ernst abgeholt werden, setzt sich der Disziplinzerfall mit Kindsbeinen an fort. Nicht Kinder bestimmen bis zur Volljährigkeit über ihre Autonomie, sondern die Erziehungsberechtigten. Wenn den Kindern oder neunmal klugen Besserwissern das nicht passt (FFF), können sie gerne das Haus verlassen und schon dort erwachsen sein, wo sie damit durchkommen. Ich wurde mit klaren Regeln erzogen und habe diese auch konsequent weitergepflegt. Aus den Kindern sind achtsame und sozialkompetente Persönlichkeiten und keine Ego-Schreihälse geworden. Sie fühlen NICHT ihre Zukunft durch unsereins zerstört. Im Gegenteil, sie wertschätzen ihre Kinderstube. Mit Ihren Schlussfolgerungen dürfen Sie gerne Ihresgleichen beglücken : -). Meine Nachfahren und ich halten von diesem Mainstream-Sozio-Eso-Hype nichts, genauso wenig wie meine Vorfahren, würden diese heute noch leben.

Sehr geehrter Herr Bott

Ich tue mich schwer, etwas zu Ihrem Kommentar zu schreiben, da ich ganz oft nicht nachvollziehen kann, auf welche meiner Aussagen in dem Blog Sie sich konkret beziehen. Ich muss aber annehmen, dass sie grösstenteils den zweiten Punkt meinen, da das ja der einzige ist, der sich konkret mit Erziehungsbelangen befasst. Wenn sie meine Aussage, dass Kinder ein Recht haben, von ihren Eltern nicht geschlagen zu werden, beanstanden wollen, dann tun mir Ihre Kinder rückblickend aufrichtig leid. Wie grau und altbacken muss deren Kindheit und Jugend - und ihr Leben bis heute - sein, wenn Sie meine "bunte neue Welt" für derart daneben halten.

Wenn Sie der Meinung sind, Erziehung und Disziplin gehe nur mit Züchtigung und ohne jegliches Mitspracherecht von Kindern/Jugendlichen, kann ich Ihrer Familie nur mein Mitleid aussprechen.

Wo Sie zudem in meine Aussagen diesen "Mainstream-Sozio-Eso-Hype" reininterpretieren ist mir ehrlich gesagt auch schleierhaft. Das müssten Sie mir bitte etwas konkreter erläutern. Aber dass ich mein Kind nicht gleich erziehe, wie mein Urgrosseltern meine Grosseltern erzogen haben, halte ich für einen grandiosen gesellschaftlichen Fortschritt.

Oliver Fischer

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