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Die Frau, dein Freund und Denker

Oliver
Fischer
05.06.20 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Wie es der Zufall so will, bin ich in den letzten beiden Wochen gleich dreimal über das Thema der Mental Load gestolpert. Dabei geht es um die Rund-um-die-Uhr-Denkarbeit, die Eltern leisten, um Haushalt, Erziehung, Arbeit - halt das ganze Familienleben - alltäglich zu organisieren. Zum einen habe ich selbst einen Artikel dazu geschrieben und mich dafür mit einer Wissenschaftlerin unterhalten. Zum anderen habe ich gleich zwei Artikel zum Thema der Mental Load im Zusammenhang mit der Corona-Lockdown-Zeit gelesen. Das Fazit aller drei Begegnungen: die Mental Load liegt grossmehrheitlich bei den Frauen.

Nun bin ich durchaus einer dieser modernen Ehemänner und Väter. Ich arbeite 80 Prozent und das in allererster Linie wegen des Kindes, um Betreuungszeit und Erziehungsarbeit ausgeglichen und gleichberechtigt mit meiner Frau zu teilen. Das hat mich auch nicht daran gehindert, so etwas wie eine Karriere aufzubauen und verantwortungsvolle Jobs inklusive anständiger Bezahlung zu machen - just sayin', die Ausrede gilt nicht Jungs. Ich habe, ausser den ersten sechs Monaten nach der Geburt (Mutterschaftsurlaub), in den etwas über fünf Jahren mindestens gleich viel Zeit mit unserem Kind verbracht wie meine Frau. Ich kann Wäsche waschen, weiss, wo der Staubsauger versorgt ist und giesse die Pflanzen. Ich kenne die Lehr- und Betreuungspersonen des Kindes und die Namen seiner Freunde. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, führt mein Weg fast immer direkt in die Küche, wo ich aufräume was rumsteht, und das Abendessen mache.

Die Mental Load war in der Vergangenheit trotzdem immer Mal wieder Diskussionsthema zwischen meiner Frau und mir. Ich habe sie nun, bevor ich diesen Blog schrieb,  gefragt, wie sie die Verteilung der Mental Load zwischen uns einschätzt und wahrnimmt. «Ich finde es ist viel besser als früher.» - «Aber der grosse Teil liegt immer noch bei mir.» - Bumm.

Wir haben dann versucht Themenfelder zu benennen und bei wem die Mental Load dafür mehrheitlich liegt. Das Verhältnis: ungefähr 5:2 für meine Frau. Wobei es nicht so ist, dass ich überhaupt nie an Dinge in ihren fünf oder sie an Dinge in meinen zwei Themenfelder denken würde; Aber jemand hat eben das Gefühl hauptsächlich dafür verantwortlich zu sein, dass die Dinge in diesem Themenfeld erledigt werden.

Wie aber schafft man es, die gesamte Mental Load ausgeglichener aufzuteilen? Es ist ja eben nicht so, dass jemand von uns überhaupt nie an gewisse Dinge denkt. Oft ist einfach die andere Person schneller, weil sie sich - bewusst oder unbewusst - dafür verantwortlich fühlt. Wenn aber sowieso beide grundsätzlich schon an Vieles denken, wäre der Idealzustand nicht, wenn beide quasi 100 Prozent der Mental Load tragen und sich diese dadurch aber ausgeglichener auf beide verteilt? Oder soll man versuchen, möglichst je die Hälfte der Mental Load eindeutig in die Verantwortung beider Partner zu legen, so dass völlig klar ist, woran man zu denken hat und was man komplett vernachlässigen darf?

Ersteres klingt zunächst gar nicht so schlecht, das Problem bleibt aber. Jemand denkt immer schneller als der andere und damit ändert sich eigentlich nichts an der Situation. Zweiteres wäre in der Theorie fair, nur ist es nicht möglich die Themenfelder so scharf zu trennen. Allein schon, weil alles, was mit dem Kind zu tun hat immer beide gleichermassen betrifft und es für uns nicht in Frage kommt - wohl für alle Eltern -, dass jemand die alleinige Veranwortung für alle Belange des Kindes tragen würde.

Eine Annäherung, die uns möglich erscheint, ist, dass wir einige Themenfelder relativ klar je einem von uns zuweisen - solche, die wir auf Grund von Interesse und Veranlagung natürlicherweise jetzt schon «bei uns» haben. Alle anderen Themenfelder sollen in einem gemeinsamen Denk-Pool liegen, für den wir uns beide verantwortlich fühlen. Was es braucht, damit wir dahin kommen - abgesehen von mehr Denkarbeit meinerseits -, wird viel Kommunikation und Planung sein - und Zeit, und Anpassung, und noch mehr Kommunikation. Sollten zwei Kommunikationsfachleute eigentlich hinbekommen ...

Ich mache mich ans Schreiben, meine Frau will schlafen gehen. Da dreht sie sich um: «Oh Mist, ich glaube, habe vergessen die Wohnungstür abzuschliessen.» - «Easy, habe ich längst gemacht.»

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