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«St. Moritz für die Reichen und Schönen»

Hans Peter
Danuser
12.03.19 - 04:30 Uhr
MAX WEISS

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Die Mega-Party der Inder Ende Februar 2019 in St. Moritz hat viel Staub aufgewirbelt. Inner- und ausserorts. Im fernen Indien muss die Berichterstattung gewaltig gewesen sein, weitestgehend positiv, ein Mix aus Faszination und Bewunderung für die erfolgreiche Familie und ihr Fest im weissen Märchenland.

Umso vernichtender dafür die Kommentare in den hiesigen Leserbriefspalten und den Social Media: «Protzig, prunkvoll, keine Werbung für die durchschnittliche Schweizer Familie …» lautet es da. Die altbekannte Diskrepanz zwischen touristischer Positionierung und dem «Frust der Bereisten», Ein- wie Zeitheimischen feierten Urständ: Jubel der Touristiker gegen Gemotze kritischer Wutbürger.

Dazu einige Bemerkungen zur Güte: Das Engadin ist abgelegen und lebt weitgehend vom Tourismus. Das ist ein heikler, sehr umkämpfter Markt mit ungleich langen Spiessen. Rund ein Drittel des Geschäfts hat das Tal in den letzten zehn Jahren verloren. Leere Geschäfte und Kassen, weniger Gäste, Arbeitsplätze und Einwohner sind Folgen davon.

Um die Märkte gezielter zu bearbeiten, ist die regionale Tourismus-Organisation von der fatalen Mischmarke «Engadin St. Moritz» abgekommen und hat als eine der ersten in den Alpen zwei Marken-Manager angestellt, eine für «St. Moritz» und einen für «Engadin». Dabei steht die Weltmarke für Extravaganz und Top of the World (Weltspitze), während die Talmarke für Sehnsucht, Natur, Kultur, Raum und Ruhe steht.

Entsprechend diesen Positionierungen treten die beiden Marken im Markt auf: Das Engadin mit grossen Stärken im Sommer, preiswerten Angeboten für Familien, Wanderer, Gesundheits- und Kunstbeflissenen. St. Moritz als weltweit bekannter Leuchtturm im Winter, mit Grand- und Luxushotels sowie Exklusivitäten wie Pferderennen, Polo, Bob, Cresta-Skeleton, nahem Flughafen für Jets etc.

Dieser Mix aus «Weiss und Eis» in der Sonne der Alpensüdseite ist einmalig. Dazu kommt die Aussicht auf den See, die Gstaad, Zermatt, Verbier u. a. fehlt. Zusammen mit der mehrsprachigen Bevölkerung und den faszinierenden (Individual-)Gästen aus aller Welt bilden diese Ingredienzen den Kern der Marke St. Moritz und der Angebotsqualität.

Dass das alles nicht billig sein kann, liegt auf der Hand, ist gewissermassen Teil der Marke und deren Positionierung. Das ist glaubwürdig, entspricht der Erwartung und schafft bei entsprechenden Erlebniswerten auch Vertrauen. St. Moritz ist gewissermassen die Rolex der Bergferienorte, die nie über den Preis verkauft werden darf.

Viele wissen, dass es auch in St. Moritz durchaus preiswerte Angebote für jedermann gibt, aber sie sind weniger typisch für die St. Moritzer Positionierung als im restlichen Engadin. Dieses spricht eine andere Gefühlswelt an als St. Moritz. Die beiden Marken stehen für verschiedene Werte, ergänzen sich aber perfekt und machen zusammen die Stärke der Region aus: St. Moritz als pulsierendes Herz des Engadins, dieses gewissermassen als Lunge von St. Moritz. Dank dem Engadin und den Albula-/Bernina-Linien der RhB ist St. Moritz nicht nur olympisch, sondern auch Teil eines Unesco-Welterbes. Beide Label halten das Tal in der globalen Champions League des Natur-  Kultur- und Sport-Tourismus.

Die Marke Engadin wird bei den bodenständigen Schweizern immer populärer sein als das kosmopolitische St. Moritz. Das reicht für das Tal aber bei Weitem nicht. Es braucht die Bekanntheit und Zugkraft der Marke St. Moritz, um die Gästepotenziale der restlichen Welt ins Tal zu locken. Das funktioniert seit Langem so. Nietzsche und Röntgen kamen nach St. Moritz und blieben dann in Sils und Pontresina, wo es ihnen am besten gefiel – zwei Beispiele für Tausende.

Zur Marktnische «Extravaganz in Spitzenqualität» gehören auch Mega-Parties wie jene der Inder. Dass dabei Begleiterscheinungen entstehen, die wir mitgeniessen, wie Drohnenballette, Feuerwerk, Umzüge, … oder deren Lärm uns und unsere Haustiere stören können, ist unvermeidlich, aber meilenweit von jenen entfernt, die das WEF jährlich den Davosern beschert. Wer A sagt und in St. Moritz wohnt, sollte auch B sagen können und solche kurzfristigen Einschränkungen tolerieren für das, was Ort und Tal ihm das Jahr über an Lebensqualität und Möglichkeiten bietet. Wenn es uns gelingt, unsere Hotels und auch die einzigartige Zelt- und Sport-Infrastruktur auf dem See mit solchen Anlässen besser auszulasten, ist schon viel gewonnen. Bereits von Mitte März an ist es dann lange Zeit wieder sehr, sehr ruhig im Ort…  

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