×

Wo bleiben die Klima- und Gesundheitsangebote?

Hans Peter
Danuser
09.07.19 - 04:30 Uhr

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Wenn ganz Europa unter einer Hitzewelle schmachtet und auch in der Schweiz die Temperatur auf 40 °C im Schatten steigt, ist die Höhenlage eines Alpentals zwischen 1700 und 4049 m ü. M. ein Segen und eine touristische Attraktion ersten Ranges. Erst recht, wenn das Klima und sein Schutz weite Bevölkerungskreise bewegt und aktuell ist wie nie zuvor. Suche ich aber nach konkreten touristischen Klima- und Gesundheitsangeboten, sind die in Graubünden rar und im Oberengadin praktisch nicht existent.

Dabei weist St. Moritz eine bald 3500 Jahre alte Heiltradition auf und verfügt über die höchstgelegene und eine der ältesten Mineralquellen Europas.

Die neue Broschüre «Engadin Sommer 2019» listet acht Angebotsschwerpunkte auf: Wandern und Alpinismus, Bike, Runnig, Wasser, Golf, Familien, Lifestyle& Kultur, goldener Herbst. Sie werden von den meisten anderen Alpenregionen auch angepriesen. Mit spezifischen Klima- und Gesundheitsangeboten könnte sich das Oberengadin von den meisten, tiefer gelegenen und weniger geeigneten Mitbewerbern in einem Nachfragebereich differenzieren, der auch in den vergangenen Krisenjahren zweistellig gewachsen ist. Die Konferenz für Gesundheitstourismus, die jährlich in Pontresina stattfindet, diesen September zum fünften Mal, zeigt das riesige Potential dieses Marktes jeweils eindrücklich auf. Der Kanton Graubünden wurde mittlerweile aktiv, das Unterengadin weist bereits erstaunliche Resultate auf, aber in der Region Maloja ist Gesundheit touristisch zurzeit kein Thema. Dabei weist das Oberengadin in den Alpen eine der höchsten Ärzte- und Therapeuten-Dichte pro Kopf und Bewohner auf.

Die Demografie und medizinischen Trends in der Schweiz und unseren Nachbarländern sind bekannt: höhere Lebenserwartung und Gesundheitskosten, mehr Prävention und ambulante Reha-Behandlungen in optimalem Umfeld. Wenn nur schon die geschätzten 100‘000 Stammgäste des Obernengadins realisieren, wie wertvoll und wirksam Prävention- und Reha-Aufenthalte in ihrer Ferienheimat sind, welche Angebote und Möglichkeiten hier dazu bereitstehen und wie preiswert im Vergleich zu den üblichen stationären Behandlungen im Unterland sie sind, ist das ein enormes Potential.

Ein St. Moritzer Hotelier verbrachte im Winter seinen stationären Reha-Aufenthalt in einer ausgezeichneten Klinik im Unterland: Kosten pro Tag über 1000 Franken, super Essen und Service, aber tagelang Nebel, während die ganze Zeit über im Engadin die Sonne schien und viele Betten leer waren. Statistisch sind die lichtarmen Wintermonate auch jene mit höheren Sterberaten – was dafür spricht, sie möglichst im sonnigen Engadin zu verbringen.

Wer googelt, staunt, welch vielseitiges und gutes Gesundheitsangebot einzelner Leistungsträger im Oberengadin bereits existiert: Hotels mit Spa-Bereichen, Klinik Gut, medizinisches Therapiezentrum MTZ im St. Moritzer Heilbad, Santasana für Herz und Kreislauf. Was fehlt, ist die Bündelung und Thematisierung der Angebote durch die regionalen und lokalen Tourismusorganisationen. Wenn eine Gruppe kompetenter und hochmotivierter Leistungsträger versucht, für 2020 ein Engadiner Gesundheits-Festival auf die Beine zu stellen, sollte sie die Startmittel dazu nicht mühsam und zeitaufwendig bei zahlreichen Stellen und Institutionen zusammenbetteln müssen.

Gesundheit, Wohlbefinden und Klima, sind Themen, die unsere Hauptmärkte immer mehr und intensiver bewegen. Kaum eine andere Bergregion bietet dafür bessere Voraussetzungen als das Engadin. Also machen wir doch ein Geschäft damit! Bike, Running und andere Sportarten sind schon recht, ziehen aber oft eher asketische Gäste an, als die Geniesser, die heute Zeit und Geld haben: die 50+ Jahrgänge. Auch sie sind aktiv, aber sehr auf Gesundheit, Komfort und Klasse fokussiert, etwa die Gentleman- und Lady-Biker mit ihren aktuellen Elektrorädern.

Auf der bekannten Herzroute zwischen Boden- und Genfersee geben sie täglich mehr als doppel so viel aus wie die «Normalos». Sie zählen touristisch zu jenem Markt, der heute und in den kommenden Jahren am meisten wächst: die Senioren, die durchaus noch fit sind, aber weniger auf Leistung, dafür mehr auf Gesundheit, Wohlbefinden und Ausgleich aus sind. Dafür ist das Engadin mit all seinen Vorzügen ideal. Nur müssen die Leute das auch wissen. Mit einem jährlichen Gesundheitsfestival könnten wir gezielt und wirksam darauf hinweisen.

P.S.: Der Hitze-Juni dieses Sommers war nicht nur ein statistischer Ausreisser. Die Jahre 1983, 2003, 2015 und 2018 verzeichneten vergleichbare Temperaturen. Höchste Zeit also für das Engadin, seine Angebote und Argumente gezielt auf Klima und Gesundheit auszurichten. Alles, was es dazu braucht ist da, sogar die «Bibel» dazu: Heini Hofmann: Gesundheits-Mythos St. Moritz – Sauerwasser, Gebirgssonne, Höhenklima. Gammeter Druck und Verlag, 3. Auflage 2017.

Die gegenwärtige Klimaproblematik verleiht dem Buch zusätzliche Aktualität. Jetzt geht es darum, die Erkenntnisse und Folgerungen des Autors touristisch wirksam umzusetzen.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.