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Wer befiehlt, zahlt nicht

Hans Peter
Danuser
29.10.19 - 04:30 Uhr
BILDMONTAGE SUEDOSTSCHWEIZ.CH

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Nach nur gut zwei Jahren hat der neue Direktor/CEO die Engadin St. Moritz AG (ESTM) völlig überraschend fristlos verlassen. Er war nach schwierigen Jahren sorgfältig und aufwendig als klar bester Kandidat gewählt worden, um den Turnaround zu schaffen. Gerhard Walter war für die Region ein Hoffnungsträger, der zuvor schon Tourismus Chef in Lech und Kitzbühl gewesen war. Das mag auch ein Grund sein, warum er bereits nach so kurzer Zeit wieder ging. In Lech und «Kitz» war er für die Umsetzung einer Marketing-Strategie verantwortlich, die von den drei Protagonisten Hotellerie, Bergbahnen und Gemeinden geprägt und getragen wurde, nach dem üblichen Prinzip «Wer zahlt, befiehlt».

Im Oberengadin gilt die Devise: «Wer befiehlt, zahlt nicht.» Die Bergbahnen besitzen keine einzige Aktie der ESTM AG, stellen aber den Präsidenten des Verwaltungsrats, ein «Bergbähnler» aus Lenz sowie den Finanzchef in der Geschäftsleitung. Damit bestimmen und kontrollieren die Bergbahnen Strategie und Finanzen der AG dominant. In der Privatwirtschaft sprechen wir bei einem solchen Vorgang und Status von einer Übernahme, einem friendly takeover. «Freundlich» in diesem Falle, weil niemand etwas sagt und die Fäuste im Sack bleiben.

Ich habe nichts gegen die Bergbahnen und danke ihnen für die perfekten Pisten, die ich im Winter mit Freude geniesse. Wenn sie aber die 11-Millionen-Marketing-Gelder der AG, die über die Gemeinden primär von den Beherbergern generiert werden, prioritär für alpine Projekte einsetzen wollen, wird die Sache gefährlich, insbesondere für die Marke St. Moritz.

Als ich jüngst nach dem Unterschied zwischen St. Moritz und dem boomenden Zermatt gefragt wurde, antwortete ich spontan: Grand- und Luxushotellerie, Pferderennen, Skimarathon und Flugplatz. All diese Begriffe haben mit Qualität und Raum zu tun, der in Zermatt extrem knapp ist, aber durch das Matterhorn und ein riesiges Skigebiet mit rentablen Bergbahnen und exzellenter Hotellerie kompensiert wird. Dort die Dramatik der Viertausender, hier die Harmonie der Berge, Seen und des Lichts. Das Engadin ist ein Raumwunder auf 1800 m ü.M. In Zermatt setzt der Kurdirektor – der noch so heisst – die Strategie um, führt offen und kompetent. Die Bahnen haben zwar starken Einfluss, das Sagen haben aber letztlich die Hotels als Träger der grössten Wertschöpfung in der Destination. Mit gut zwei Millionen Logiernächten ist Zermatt nach Zürich heute die Nummer 2 der Schweiz.

Dass bei uns die St. Moritzer Grandhotels nicht im Verwaltungsrat der ESTM AG vertreten sind, ist völlig unverständlich. Sie sind ein weltweit anerkanntes Alleinstellungsmerkmal des Engadins mit grossem Einfluss auf Image und Positionierung der Marke St. Moritz. Für die professionelle Führung und Pflege der Marke St. Moritz fehlen den Bergbahnen Kompetenz und Leistungsausweis.

Beispiel «Snow Deal». Während Zermatt gemeinsam mit allen Protagonisten die Digitalisierung der Destination vorantreibt (und dabei Laax als Projektpartner beizieht), halten die Engadiner an einem System fest, das bahnzentriert ist und das ganze Wetterrisiko dem Gast überwälzt. Laax dagegen steht mit 140‘000 Stammgästen digital in Kontakt, kommuniziert mit ihnen über eine App regelmässig auf Augenhöhe, stellt nur effektive Fahrten in Rechnung, und deckelt Tageskarten in jedem Falle unter 100 Franken. Das ist gerecht, bequem und zeitgemäss.

Die gleichen Leute, die vor drei Jahren Gerhard Walter ausgelesen haben, evaluieren jetzt auch seinen Nachfolger wieder – diesmal ohne professionelle Begleitung. In einer Pressemitteilung und Inseraten erwarten sie vom neuen Direktor explizit auch «Respekt». Offenbar hat Walter diesen den Bergbahnen gegenüber weniger gezeigt als seine Vorgängerin, die nach ihrem Abgang folgerichtig in einen Bergbahn-Verwaltungsrat entschwunden ist – nach Lenzerheide. Günstiger wäre es, wenn die Bergbahnen den neuen Direktor gleich selber auswählten, damit der neue von Beginn an besser «spurt» als sein Vorgänger. Die Findungskommission besteht übrigens aus dem Präsidenten aus Lenz und zwei Verwaltungsratsmitgliedern aus Pontresina. St. Moritz mit 35 Prozent der Aktien ist nicht dabei.

Für die Marken «St. Moritz» und «Engadin» ist die gegenwärtige Situation kurz vor der Wintersaison fatal. Die Schuld liegt aber nicht bei den Bergbahnen. Die holen sich, was sie können, so lange man sie gewähren lässt. Die Schuld liegt bei den Führungsdefiziten von St. Moritz in den letzten Jahren. Für 70 Millionen Franken baut man einen Bädertempel auf 1770 m ü. M. und nun noch ein Alterszentrum für fast 40 Millionen Franken. Die absehbaren Betriebsdefizite und Amortisation der beiden touristisch wenig relevanten Anlagen werden weit mehr als fünf Millionen Franken pro Jahr betragen, macht über 1000 Franken minus pro Einwohner und Jahr – ob er die «Tempel» selber nutzt oder nicht. Dieses Geld fehlt fortan für wichtige touristische Projekte, die nötig werden, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Pontresina zeigt in Sachen Führung seit Jahren, wie es geht und was sie damit erreichen. Alle paar Jahre ein neues Hotel – und St. Moritz baut für die eigenen Senioren. Ich hoffe sehr, dass die neu gewählte Behörde ihre Verantwortung endlich wahrnimmt und dafür sorgt, dass die Marke St. Moritz wieder erstarkt und auch in der Region und ihren Gremien mit Vehemenz gefördert wird – ganz im Sinne des Wahlslogans «St. Moritz kann’s besser!»

Ohne Führungswille und Durchsetzungskraft geht das allerdings nicht. Die Zeit der Sprüche ist vorerst vorbei: Jetzt ist Führung gefragt, dringend.

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Schöner Artikel, um einen Einblick in die Struktur der Tourismusverwaltung der Region zu bekommen. Ich kann diese Konstellation sehr gut nachvollziehen. Auch ich hatte diese Situation bei der Leitung eines Museums. Allerdings schon mit Ende 20. Eine schwierige Situation.