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Mit Fischen sprechen

Südostschweiz
19.08.20 - 16:30 Uhr

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Anfang Jahr habe ich hier einen Beitrag geschrieben mit dem Titel «Das Jahr der Hoffnung» MUAHAHAHAHAHAHAHAHA …hahahahahahahahaha … hahahahaha … hahahahaha … haha … ha.

Was haben wir nicht alles gelesen über die Möglichkeiten, auch online tolle Leute zu treffen. Sich zu Zoom-Gruppendates zu verabreden oder über «be my quarantine» die wahre Corona-Liebe zu finden. Ich geb’s zu. Ich habe mich weder online noch im realen Leben zu einem Date getroffen. Irgendwie hat mir die gesamte Lockdown-Situation etwas die Energie fürs Daten und die Lust darauf, neue Menschen kennenzulernen geraubt. Ich habe mich in den letzten Monaten erst über die Menschheit gefreut, als ich die Welle der Solidarität unter uns Menschen mitbekommen habe und mich dann über die Menschen aufgeregt, als ich die ersten Verschwörungsschwurbler und deren formulierte Zusammenhänge zwischen Coronavirus, Bill Gates und der Weltgesundheitsorganisation WHO wahrgenommen habe. Das ist aber ein anderes Thema.

Die meisten unter uns werden das Jahr 2020 wohl im Ordner «WTF» ablegen und archivieren. Dabei hatte 2020 durchaus auch seine guten Seiten – also eine: Wisst ihr noch, wie ich erklärt hatte, dass ich für 2020 keine guten Vorsätze fasse? Ich habe es geschafft und dadurch offenbar genau den richtigen Weg eingeschlagen. Ich bin regelmässig zu Fuss statt mit dem Auto zur Arbeit, habe meine Ernährungsgewohnheiten hinterfragt, angepasst und dadurch einige Kilos verloren.

Das war es dann aber auch schon mit den wirklich positiven Auswirkungen von Corona auf mein Dasein. Die vergangenen sechs Monate haben mich in meinen Augen irgendwie zum komischen Eremiten gemacht, der in seiner Dachwohnung sitzt und sie nur zum Arbeiten oder Einkaufen verlässt. Hätte ich noch einen langen Bart, man könnte mich wohl mit dem Einsiedler aus Monty Pythons «Life of Brian» verwechseln.

Mir fehlen –und das merke ich jetzt – die Frühlingsgefühle, die sich im April und Mai hätten einstellen sollen, wenn die Temperaturen höher und die Kleider kürzer werden. Ich habe zu der Zeit versucht, eine intensivere Bindung zu den Fischen in meinem Aquarium aufzubauen. Ich habe viel mit ihnen gesprochen – da kam aber kaum was zurück. Zumindest scheinen sie sich zu freuen, wenn ich ihnen die Futterflocken ins Wasser schmeisse. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein.

Mir fehlen – und das merke ich jetzt – die ersten Grillfeste mit Freunden, an denen man die Zeit vergisst und erst im Morgengrauen den Weg ins Bett findet. Das Morgengrauen habe ich in den letzten Wochen nur erlebt, wenn eine einsame Fifa- oder Netflix-Nacht zu lange gedauert hat. Mir fehlen – und das merke ich jetzt – die Festivals, die ich besucht und mich dabei beseelt in deren Paralleluniversen verloren hätte. Dieses Jahr habe ich das eine oder andere (letztjährige) Konzert am Fernsehen verfolgt. Die Ausfahrt zu einem Paralleluniversum findet man so aber nicht – und nein, ich spreche nicht von Drogen.

Wie dem auch sei. Wenn man dem 1945er-Jodel-Smash-Hit «Nach em Räge schint d Sunne» von Mumenthaler/Pfyl glauben will, wird entweder der Rest des Jahres 2020 oder dann aber das Jahr 2021 der absolute Superkracher.

Wer Ruhe sucht, wird sie finden, wer Liebe sucht, wird sie finden und wer mit seinen Fischen spricht, wird sie verstehen – daran glaube ich jetzt einfach mal ganz ganz fest.

Passt auf euch auf,

Euer Singlebock

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