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Die grüne Wende wird auch zum grünen Scheitern

Andrea
Masüger
14.09.19 - 04:30 Uhr

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Wer sich derzeit die verschiedenen Umfragen und Untersuchungen zu den nationalen Wahlen vom Oktober zu Gemüte führt, kann leicht in einen grünen Rausch geraten. Die Umweltschutzparteien werden das beste Ergebnis seit der Überquerung des Rubikons durch Julius Cäsar einfahren, darüber herrscht Konsens. Und diejenigen Parteien, die sich bisher ums grüne Thema wenig kümmerten, werden ihnen als Steigbügelhalter dienen.

Der neueste SRG-Wahlbarometer verheisst der Grünen Partei der Schweiz ein Plus von 3,4 Prozent gegenüber den Wahlen von 2015. Sie kommen mit 10,5 Prozent Wähleranteil sogar 0,3 Prozentpunkte vor der CVP zu liegen. Die Grünliberalen legen um 2,3 Prozent auf fast sieben Prozent zu. Kein Wunder, fantasiert die Schweiz schon von einem grünen Bundesrat auf Kosten der CVP.

Auch bei der Auswertung der politischen Profile der Kandidatinnen und Kandidaten für den Nationalrat zeigt sich, dass diese grüner und gesellschaftsliberaler sind als die heutigen Amtsträger. Die letzten Wahlen scheinen Lichtjahre entfernt. So bekennen sich grosse Mehrheiten der bürgerlichen Kandidaten (ausgenommen jener der SVP) zu einer CO2-Abgabe auf Benzin und Diesel. 2015 war eine solche Forderung noch des Teufels, doch heute wird sie von 63 Prozent der FDP-Vertreter befürwortet, bei der CVP sogar von 81 Prozent! (Bei SP und Grünen tendiert die Zustimmung logischerweise gegen hundert Prozent.)

Diese Befunde legen nahe, dass am 20. Oktober ein grüner Tsunami über die Schweiz hinwegfegen wird. Für fast alle grünen Forderungen wird es Mehrheiten bis tief in den Bürgerblock hinein geben. Die Klimademonstranten werden sich die Augen reiben und wieder im Klassenzimmer verschwinden.

Und dies alles scheint von der Volksmeinung gedeckt zu sein. Im Wahlbarometer hat sich nämlich herausgestellt, dass die Klimaerwärmung für die Bevölkerung eines der drängendsten Probleme ist.

Wirklich? Machen wir den Härtetest. Im Februar hat das doch eher linksgrün tickende Berner Stimmvolk ein kantonales Energiegesetz abgelehnt, welches die Energieziele des Bundes auf den Kanton heruntergebrochen hätte. Die Hauseigentümer und die Wirtschaftsverbände hatten mit ihrem Referendum Erfolg. Manchem Häuschenbesitzer war es plötzlich nicht mehr geheuer, dass auch seine dreckige Heizung in den Fokus geraten könnte. Bei einer Umfrage des Zürcher Elektrizitätswerkes hielten kürzlich 60 Prozent der Befragten die Energiestrategie 2050 des Bundes für ein unrealistisches Ziel, obwohl dieses vor zwei Jahren in einer nationalen Abstimmung abgesegnet worden war.

Interessant sind auch die Erfahrungen, die derzeit die rot-grüne Mehrheit macht, die bei den Märzwahlen im Zürcher Kantonsrat Einzug hielt. Diese hat kürzlich ein Massnahmenpaket beschlossen, das die Verkehrspolitik zugunsten des ÖV umkrempelt und die Autofahrer das Fürchten lehrt. Die SVP hat das Referendum angekündigt, um diesen «ideologischen Übermut» an der Urne abzukühlen. Es könnte ihr gelingen.

Auch der Reiseversicherer Allianz Partners Schweiz hat eine Umfrage gemacht. Der zufolge reisen trotz Greta Thunberg neun von zehn Schweizer ungebremst in die Ferien. Der Klimawandel ist nur bei rund fünf Prozent der Buchungen in Reisebüros ein Thema, so das Fazit einer anderen Erhebung der Uni St. Gallen. Touristikprofessor Christian Laesser sagt es mit typisch wissenschaftlichem Geschwurbel: «Die Kunden sind noch nicht dort, wo man sie haben wollen würde, wenn sie wirklich kritisch mit diesem Thema umgehen würden.»

Die Schweizerinnen und Schweizer beruhigen ihr Gewissen, indem sie Klima- und andere Umweltprobleme an die grünen Parteien delegieren. Danach wird das Thema aus dem Gedächtnis gestrichen. Und wenn nach den Wahlen dann das ökologische Leben B ausgerufen wird, sagen alle leise Servus.

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