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Auch die Schweiz hat ihr Impeachment – gegen Cassis

Andrea
Masüger
23.11.19 - 04:30 Uhr
Bundesrat Ignazio Cassis.
Bundesrat Ignazio Cassis.
KEYSTONE

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Der schöne Kanton Tessin sieht sich plötzlich in den Mittelpunkt des helvetischen Interesses katapultiert. Das halbe Land bedauert die Abwahl von Filippo Lombardi aus dem Ständerat, jenes Mannes, den der «Tages-Anzeiger» zu Recht einen «Titanen» nennt. Und Bundesrat Ignazio Cassis steht unvermittelt auf der Abschussliste.

Dass Lombardi nicht mehr gewählt wurde, ist allein ein Tessiner Problem. Der hünenhafte Mann mit der tiefen Stimme, dem grossen Herzen und dem breiten Lachen war seinen Landsleuten zu offen und zu liberal, und er gehört zu einer Mitte, die im Südkanton derzeit schlechte Karten hat. Bundesrat Cassis hingegen passt vor allem den Linken im Berner Politbetrieb nicht. Man will ihn weghaben. Entweder soll er das Departement wechseln oder – die Radikalvariante – gleich ganz abgewählt werden, zugunsten einer neuen grünen Kraft im Bundesrat.

Was liegt denn vor gegen diesen Mann, das derart drastische Massnahmen rechtfertigt? Massnahmen überdies, die gegen amtierende Mitglieder der Landesregierung kaum je ergriffen wurden und deshalb als eine Art Impeachment gelten müssten?

Es geht eigentlich nur um unangenehme Fragen, die Cassis zu stellen pflegt. So hat er sich schon kurz nach seiner Wahl erfrecht, das Engagement des Uno-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser ein bisschen in Zweifel zu ziehen. Die Schweiz investiert dort alljährlich nicht unbedeutende Summen, unter anderem auch für das utopische Konzept, die mittlerweile fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge in ihre alten Wohngebiete in Israel umzusiedeln. Dieses Projekt stammt aus einer Zeit, als diese Zahl sieben Mal kleiner war und tatsächlich alle echte Vertriebene waren. Ja, und dann, man erinnert sich, wollte es Cassis nicht einleuchten, dass eine prähistorische Acht-Tage-Regel zum Dreh- und Angelpunkt des Rahmenabkommens mit der EU werden sollte. Er verlangte von den Gewerkschaften mehr Flexibilität beim Lohnschutz.

Im ersten Fall heulten die vereinigten diplomatischen Seilschaften auf, die im Aussendepartement eine kartellähnliche Organisation mit ausgeprägtem Linksdrall bilden, die auch Bundesräte nicht zu knacken vermögen. Und beim Lohnschutz waren es die Gewerkschaften und die SP, die Cassis flugs zur Persona non grata erklärten, weil seine Heiligkeit, der Lohnschutz, nicht einmal andiskutiert werden darf.

Der Widerstand gegen den Aussenminister kommt also geballt von linker Seite und es erstaunt, dass die Bürgerlichen dies einfach so hinnehmen, ja, dass sie sich zumindest hinter vorgehaltener Hand auf die Diskussion um eine Abstrafung von Cassis einlassen. Dabei geht es um drei Strategien. Die erste: Man fordert seine Abwahl zugunsten einer grünen Kandidatur. Zweitens: Falls dies nicht gelingt, soll er sein Departement Alain Berset übergeben, weil dieser das Rahmenabkommen-Dossier kompetenter betreuen würde. Ausgerechnet Berset, der dafür bisher keinen Finger krümmte und zum Lager der SP-Blockierer gehört.

Um – drittens – das Mass noch vollzumachen, soll Cassis überdies von Viola Amherd das Militärdepartement übernehmen, weil dieses ja als zweitklassig gilt. Damit hätte die Zauberformeldiskussion eine neue, quasi innerqualitative Dimension erreicht: Es ginge nicht mehr nur um die Anzahl Sitze pro Partei, sondern auch noch um den Anspruch auf höher- oder niederwertigere Departemente. (Abgesehen davon ist der Bundesrat für die Departementsverteilung zuständig und nicht das Parlament. Aber das können eben noch nicht alle Neugewählten wissen, die jetzt schon in der Diskussion mitmischen ...)

Wenn schon jemand abgewählt werden müsste, dann Guy Parmelin. Im Gegensatz zu Cassis hat dieser nun wirklich eine überaus magere Bilanz seines Wirkens auszuweisen und zwar in beiden Departementen, die er bisher führte. Natürlich dürfte er aber nicht durch einen grünen Bundesrat ersetzt werden, sondern müsste einer neuen SVP-Kraft weichen, denn der Anspruch der Partei auf zwei Sitze ist unbestritten.

Ein solcher Plan brächte in die Bundesratswahlen eine ganz andere Dynamik als das blosse Mobbing gegen einen Tessiner, der sein Amt nicht nur als Bürolist, sondern als Gestalter versteht.

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