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Chinesische Effizienz wäre auch fürs Klima gut

Andrea
Masüger
09.02.20 - 04:30 Uhr
China Outbreak

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Wie würde die Welt wohl reagieren, wenn Donald Trump morgen behauptete, das Coronavirus sei eine Erfindung der Demokraten und alle Abwehrmassnahmen gegen den gefährlichen Erreger bloss Nonsens? Und wenn er daraufhin alle Abkommen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO kündigen würde, weil diese zur Bekämpfung des Virus die «gesundheitliche Notlage» ausgerufen hat? Einen solchen Ignoranten möchten wohl selbst die hartgesottensten Republikaner nicht mehr in den eigenen Reihen haben.

Niemand kommt es heute in den Sinn, das Coronavirus einfach mal machen zu lassen, in der Hoffnung, dass sich das Problem entweder von selbst erledigt oder alles nur glimpfliche Folgen haben wird. In kürzester Zeit haben die Chinesen die härtesten Massnahmen ergriffen, um es einzudämmen. 45 Millionen Bürger wurden von der Aussenwelt abgeschottet und ganze Städte unter Quarantäne gestellt. In der Stadt, in der das Virus erstmals auf einen Menschen übersprang, wurde innerhalb einer Woche ein Notspital mit 1000 Betten aus dem Boden gestampft. Das chinesische System ist schon fast beängstigend effizient in der Bekämpfung dieser Plage, die ein enormes gesundheitsgefährdendes Potenzial besitzt. Die ganze Welt ist China dankbar dafür und froh, dass ein totalitäres Regime gesundheitstechnisch auch ein Segen sein kann.

Auch andere Länder haben auf den höchsten Aktivitätsgang geschaltet. Alle sind sie vorbereitet auf eine mögliche Pandemie, haben Hotlines für die verunsicherte Bevölkerung eingerichtet. Universitäten und Pharmafirmen forschen unermüdlich an einem Impfstoff, der den Schrecken bannen soll, und für den auch schon erste Ansätze vorhanden sind. Auslandreisen nach China werden gestoppt, Landesbürger von dort ausgeflogen und in Quarantäne gesteckt. Kaum noch eine Fluggesellschaft steuert chinesische Destinationen an, neben der Swiss und der Lufthansa haben 15 weitere Airlines alle China-Flüge bis auf Weiteres gestrichen.

Die Welt reagiert, wie wunderbar! Eine globale Krise wird gemeinsam bekämpft. Doch bei anderen Krisen ist man weit lascher, lässt es bei Lippenbekenntnissen bewenden und versucht, sich ums Problem herumzuschlängeln. Ja, gemeint ist der Klimawandel. Der Vergleich ist gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Beide Bedrohungen sind fundamental für die Menschheit. Doch sie unterscheiden sich voneinander in einem wesentlichen Punkt: in der Wahrnehmung der Dringlichkeit.

Ein Virus kommt und tötet: über 600 Personen sind es bisher in China. Die Fallzahlen werden rasant wachsen und – tragen alle Massnahmen Früchte – nach Mitte Februar zurückgehen. Würde man nichts tun, wäre möglicherweise bald eine Pandemie im Ausmass der Pest oder der Spanischen Grippe zu erwarten, die vor hundert Jahren innerhalb von zwölf Monaten 20 bis 50 Millionen Menschen dahinraffte. Keine Regierung möchte eine solche Entwicklung auf sich nehmen und die Verantwortung dafür tragen.

Doch beim Klimaproblem liegen die Dinge anders. Da geht es um zu erwartende mittel- bis langfristige Entwicklungen. Politiker lösen nur ungern die Probleme der kommenden Generationen. Deshalb interessiert die Chinesen der Klimaschutz weit weniger als das Coronavirus. Die Folgen eines vernachlässigten oder ungenügenden Klimaschutzes sind einfach zu weit weg von der heutigen Realität. Doch man kennt sie: steigende Meeresspiegel, extreme Wetterereignisse, Hitzewellen, Waldbrände und Dürren, kaum noch bewohnbare Grossstädte, Berggebiete als permanente Gefahrenzonen, dezimierte Tier- und Pflanzenwelt, Massen von Klimaflüchtlingen. Niemand mag heute prognostizieren, mit welchen menschlichen Opfern dabei zu rechnen ist, doch man kann davon ausgehen, dass die Spanische Grippe im Vergleich dazu eine Marginalie sein wird.

Es scheint, als könnte die Welt nur mit akuten, nicht mit potenziellen Gefahren umgehen. Deshalb sind die Chinesen nun die Helden und Donald Trump bloss ein Sonderling.

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