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Angst macht vorsichtig – und leider auch dumm

Andrea
Masüger
01.03.20 - 04:30 Uhr

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Am 11. März 1799 besuchte Napoleon trotz eindringlicher Warnungen der Feldärzte ein Notspital im palästinensischen Jaffa. Dort lagen Hunderte an der Pest erkrankte und hochansteckende Soldaten, Gestrandete seines Ägyptenfeldzugs. Er sprach mit den Soldaten, erkundigte sich nach ihren Biografien. Er liess ein Bild malen, auf dem er die Wundmale eines Kranken berührt (heute würde er sich von Kriegsreportern dabei fotografieren lassen). «Moralischer Mut» sei das beste Mittel gegen die Ansteckungsgefahr, sagte der 30-jährige «général en chef» in die verdutzte Runde von Kranken und Ärzten. Napoleon blieb gesund und wurde Kaiser der Franzosen.

Alain Berset ist kein General, aber er beweist auch eine Art moralischen Mut. Zwar wagt er sich nicht ohne Mundschutz und Desinfektionsmittel auf eine Krankenstation mit Corona-Infizierten, aber er versucht, in der etwas verworrenen Lage kühlen Kopf zu bewahren, nicht in kontraproduktive Hektik zu verfallen und die Bevölkerung möglichst sachlich zu informieren.

In Zeiten des Internets und von Social Media sind nicht nur Verschwörungstheorien wohlfeil. Gegen solche sind zum Glück die meisten Menschen gefeit. Sie glauben ebenso wenig, dass das Coronavirus bei einem geheimen Laborversuch entschlüpft ist, wie an die Geschichte von der Mondlandung, die nur in einem Hollywood-Studio stattgefunden hat. Schlimmer sind die Halbwahrheiten, Mutmassungen und Übertreibungen, die derzeit die Runde machen.

Ein Epidemiologe hat dieser Tage vorgerechnet, dass das Coronavirus in der Schweiz bis zu 30 000 Tote fordern könnte. Das wäre schlimmer als Sars, die Schweinegrippe und der Rinderwahnsinn zusammen. Bei Letzterem, man erinnert sich, setzte auch ein unglaublicher Hype ein und viele machten um den Sonntagsbraten einen weiträumigen Bogen. Schliesslich kam es in der Schweiz nicht zu einem einzigen Todesfall.

Angstforscher suchen nach Erklärungen für die grosse Verunsicherung der Bevölkerung. Die Gefahr, die von diesem Virus ausgeht, ist neu und unbeherrschbar. Es gibt (noch) kein Mittel gegen das kleine Ding, eine Impfung wird wohl erst in Monaten verfügbar sein. Das Gehirn überschätze Gefahren generell und mache damit seinen Träger vorsichtig, sagen die Wissenschafter. Dies war im Alltag der Neandertaler wohl nützlich, ist heute aber eher hinderlich. Angst löst auch das Bedürfnis nach Informationen aus. Und tendenziell ist der Mensch an schlechten Nachrichten mehr interessiert als an guten. Das bedeutet: Man sucht Informationen, und schlechte kommen besser an. Die gegenwärtigen Hamsterkäufe in den Supermärkten sind Ausdruck dieser Haltung.

Die Ausbreitung des Virus ist am ehesten mit einer aggressiven Grippewelle zu vergleichen. Rund 80 Prozent der Krankheitsfälle verlaufen mild, werden als blosse Erkältung wahrgenommen. Einzelne Angesteckte erkranken nicht einmal, geben das Virus aber weiter. Bis zu einem Fünftel der Erkrankungsfälle verlaufen schwer, die Todesrate liegt zwischen einem und zwei Prozent und ist damit höher als bei der «normalen» Grippe. Junge stecken das Ganze leicht weg, ältere Menschen sind stärker gefährdet, vor allem solche, die bereits an anderen Krankheiten leiden.

Das Coronavirus ist einer der Preise, den die Globalisierung fordert, und man muss ihn einfach möglichst tief halten. Offene Grenzen, Fliegerei, Tourismus, globale Geschäftstätigkeit – all dies sind Eldorados für unbekannte Erreger. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass die SVP im Coronavirus nun plötzlich einen Verbündeten für seine Begrenzungsinitiative gefunden hat. Die Personenfreizügigkeit sei falsch, es brauche Grenzkontrollen und ein Ja am 17. Mai, twitterten SVP-Exponenten diese Woche durch die Gegend.

Napoleon würde ihnen sagen: Citoyens, wir brauchen Mut, nicht Schlagbäume!

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Herr Masüger,
Vielen Dank für Ihren Artikel in der Linth-Zeitung vom 31.Dez. 23020

Man möchte aufschreien das so viele Corona-Tote mit einem Achselzucken hingenommen weden.
Was machen unsere Politiker mit uns ?Wie ist es soweit gekommen dass es uns egal ist ob einer neben uns im Strassengraben liegt? Traurig was da abgeht.