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Diesen Staat sollten wir nun nicht mehr kleinreden

Andrea
Masüger
26.04.20 - 04:30 Uhr
Leere Churer Altstadt
Wegen dem Corona Virus ist die Churer Altstadt Menschenleer.Bis Montag 27.4.20. sind alle Geschäfte geschlossen.Fotografiert am 22.4.20.Bild Philipp Baer
PHILIPP BAER

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Der Staat ist gerade stark en vogue. Bei solchen, die ihn brauchen und bei solchen, die ihn kritisieren. Und meist kritisieren ihn auch jene, die ihn brauchen.

Der Bund sorgt derzeit im umfassenden Sinn für die Nation: Er hält aus Gründen der Volksgesundheit die Gesellschaft und die Wirtschaft still, aber er gleicht im Gegenzug die volkswirtschaftlichen Schäden aus. Ohne die ungeheure coronare Bundeshilfe, die nun wie göttliches Manna auf Helvetien niederregnet, wäre die Schweiz nach Monaten des Lockdowns wohl am Ende. Die Horrorszenarien dazu liefern fast täglich die Ökonomen. Doch es sind eben nur Szenarien, meist im Worst-Case-Modus.

Es wird anders kommen, weil die Bundeshilfe breit gefächert und auf alle zugeschnitten ist. Da sind die durch Bundesbürgschaften abgesicherten Bankkredite, die Kurzarbeitsentschädigung und die Erwerbsausfallkompensation, die nun auch auf alle Selbstständigen ausgeweitet wurde. Neben der Unterstützung für Kulturschaffende werden wohl noch weitere branchenspezifische Hilfen kommen wie etwa für den Tourismus. Ganz am Schluss wird die Arbeitslosenversicherung noch jenen Teil auffangen, der völlig durch die Maschen fiel. Die Schweiz hat an alles und an alle gedacht. Und was die meisten Leute erstaunt: Wie schnell das alles ging! Normalerweise braucht man für eine Gartenhäuschenbewilligung zwei Jahre. Und jetzt bekam man eine halbe Million innerhalb eines Tages.

Etwas salopp kann man sagen: Die Schweiz kann Katastrophe. Unser manchmal ätzend betu- liches Land ist in der Lage, in Notsituationen alle Register zu ziehen, unbesehen von Zänkerei und Parteipolitik (zumindest am Anfang ...). Kaum ein Land in Europa oder anderswo auf der Welt hat so schnell, so effizient und so umfassend reagiert, das zeigen einschlägige Ländervergleiche.

Und es wird weitergehen. Von den über 60 Milliarden, die der Bund konkret in die Volkswirtschaft gepumpt hat, wird dieser wohl einen nicht unerheblichen Teil abschreiben müssen. Viele der Kredite werden gar nicht mehr zurückbezahlt werden können, trotz der immensen Laufzeiten. Die Corona-Hilfe wird als die grösste helvetische Massensubvention in die Geschichte eingehen. Die Utopie vom Helikoptergeld ist plötzlich Wirklichkeit geworden.

Finanzminister Maurer rechnet deshalb mit einer Corona-Gesamtleistung des Bundes von 70 bis 80 Milliarden Franken, dies entspricht den gesamten Bundesausgaben für ein Jahr. Das Bundesdefizit für 2020 dürfte 30 bis 40 Milliarden betragen.

Trotzdem ist nun die Zeit der Stänkerer angebrochen. Staatsrechtler, Rechtsprofessoren und Nationalphilosophen bemängeln zunehmend das angeblich schrankenlose Notrecht, welches die Bürgerfreiheiten und die Unversehrtheit des Individuums einschränkten. Sie unterstellen der Regierung bösartige und machtbesessene Aneignungen von Kompetenzen, ja, beinahe schon Putschgelüste.

Es geht nicht mehr lange, und es wird eine Verfassungskrise heraufbeschworen, obwohl genau diese Verfassung der Exekutive und auch der Legislative solche Notrechtskompetenzen einräumt. Diese theoretischen Vorhaltungen können nur Akademiker anbringen, die im gehaltsmässig abgesicherten Elfenbeinturm ihrer Universitäten und Institute frei über alle Arten von Krisen sinnieren können.

Jahrzehntelang wurde der Staat auch schlechtgeredet als unersättlicher Wohlfahrts-Popanz, der die Behütung seiner Schäfchen von der Wiege bis zu Bahre zum Ziel habe und damit dem indivi- duellen unternehmerischen Wirtschaften zunehmend die Lebensluft abwürge. Die Verminderung der Staatsquote wurde zum bürgerlichen Rütlischwur erhoben. Nun zeigt sich, dass genau dieser Staat nicht nur soziale Brosamen verteilen kann, sondern in der Lage ist, die gesamte Volkswirtschaft mit einem gigantischen Netz aufzufangen.

So sollten wir also dem Staat und seinen exekutiven Lenkern gegenüber künftig etwas mehr Demut entgegenbringen. Und versuchen, ein bisschen vom positiven Geist, der sich in der Krise breitgemacht hat, auch in künftige normale Zeiten hinüberzuretten.

«Helikopter- geld ist Wirklichkeit geworden.»

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Ja, Herr Masüger, Sie als Bündner jetzt das so schreiben, das ist mir klar.
Wenn Sie aber die Rolle des Krisenstabs im Kanton Graubünden mit Ihrer journalistischen und als ehemaliger CEO aus wirtschaftlicher oder sogar aus touristischer Sicht analysieren würden, könnte ich mir vorstellen sich Sorgen zu machen um den Tourismus und die Wirtschaft.
Sogenannte Unterländer vergessen die vom Krisenstab gewählte Sprache und die Massnahmen nicht einfach so.
Drohungen, Heizung abstellen in Zweitwohnungen, Behördliche Schikanen usw.
passen nicht in einen Tourismuskanton und auch nicht in die Schweiz.
Zum Glück haben einige Tourismusverantwortliche ihr Hirn eingeschaltet und nicht alle Anordnungen des Krisenstabs umgesetzt.
Drr Freiheitsentzug für Schweizer Bürger, die eingesperrten „Alten“ in Alters- und Pflegeheimen, die völlig übertriebenen Massnahmen der Behörden. Ein Pandemiegesetz, dass schnell korrigiert werden muss, damit solche „Möchtegern Diktaturen“ nicht mehr möglich sind in der Schweiz. Diese Themen würde ich Ihnen empfehlen aus journalistischer Sicht, unabhängig aufzuarbeiten.