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Fehlalarm

Christian
Ruch
20.07.19 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Wenn Sie wie ich derzeit in Skandinavien unterwegs sind, bleibt Ihnen eines nicht erspart: die Begegnung mit deutschen Rentnern. Meine Lieblingsreisegruppe, über die ich mich schon letztes Jahr ausgelassen habe, Stichwort: Windjacke und Pulli bei 26 Grad, weil man ist ja über dem Polarkreis. Bisher dachte ich immer, dass ich das Verhalten deutscher Rentner im Ausland gut einschätzen kann. Wenn es zum Beispiel am Nordkap regnet, nur sieben Grad hat und man gar nix sieht, setzen sie ihr grimmigstes «Merkel ist schuld»-Gesicht auf und wählen das nächste Mal AfD.

Diesmal aber haben sie mich überrascht, und das kam so: Die Lieblingsbündnerin und ich logierten in einem norwegischen Hotel, in dem alle 15 Minuten der Feueralarm losging. Das brachte mich nicht aus der Ruhe. Hotelfeueralarme finde ich erst spannend, wenn im Gang schon die Schläuche liegen und die Drehleiter den Lift ersetzt. Da aber die Schlafqualität bei einem Feueralarm alle 15 Minuten doch etwas suboptimal ist, wollte ich das der Rezeption mitteilen. Und wen sah ich da? Mindestens 50 deutsche Rentner, die sich in die Lobby geflüchtet hatten, weil auch in ihrem Zimmer der Alarm losging. Die Herren beruhigten die Damen und tauschten sich über ähnliche Erlebnisse aus. Vor zehn Jahren hätte man noch Sätze gehört wie: «Bei der Panzerschlacht von Kursk gabs auch immer Fehlalarm. Der Russe wollte uns zermürben!» Doch diese Generation reist nicht mehr.   

Das für mich völlig Überraschende: Alle deutschen Rentner waren korrekt gekleidet, keiner zerzaust oder schon im Pyjama. Das konnte nur eines bedeuten: Sie hatten sich nicht nur noch nicht bettfertig gemacht, sondern auch gar nicht vor, das zu tun. Meine Theorie: Deutsche Rentner sitzen in ausländischen Hotels angezogen, die Wertsachen griffbereit, die ganze Nacht auf der Bettkante. Dies in der Erwartung, dass es einen Feueralarm geben könnte. Oder ein Erdbeben. Oder der Russe doch noch kommt. Und hoffen, dass es bald Frühstück gibt. Geschlafen wird dann anderntags im Bus, soll sich die Reiseleiterin doch den Mund fusselig reden.

Wir lernen: Der deutsche Rentner ist im Ausland auf alles gefasst. Und wenn doch mal etwas passiert, ist die Merkel schuld.

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