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Virologe

Christian
Ruch
02.05.20 - 04:30 Uhr

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Für mich als Historiker und Soziologe sind das wunderbar aufregende Zeiten. Ich meine, wann erlebt man es schon mal, dass ein US-Präsident dazu rät, Desinfektionsmittel zu sich zu nehmen? Oder Leute mit ihrem Auto mutwillig ein Verkehrschaos beim McDrive verursachen, nur weil sie nach sechs Wochen endlich mal wieder einen lauwarmen Big Mac konsumieren wollen? Dass ich selbst in dieser Kolonne war, geschah natürlich nur aus rein soziologischem Interesse, von wegen Feldforschung und so.

Allerdings gibt es eine wissenschaftliche Disziplin, die gerade noch aufregender ist: die Virologie. Wenn ich etwas wirklich Brauchbares wie Virologie studiert hätte, wäre das für’s Ego viel besser. Denn als Virologe darf man laufend ins Fernsehen. In Deutschland zum Beispiel scheint es nur drei Virologen zu geben: Da ist der etwas verschusselt wirkende, aber gerade darum für’s weibliche Publikum total süsse Christian Drosten, dann sein Gegenspieler, der etwas schnöselige Alexander Kekulé, der partout das Gegenteil vom Corona-Hitsch Drosten vertritt, und als Dritter im Bunde der jung-dynamische Hendrik Streeck, der gerade in einer grossen Studie in die virenverseuchten Hälse von Karnevalsbesuchern blickt. Sicher auch nicht immer so erfreulich. In der Schweiz scheint es sogar nur zwei Virologen zu geben: Marcel Salathé, wie Herr Kekulé mit Aksongtegü auf dem E, finde ich immer etwas blass, mein Favorit ist deshalb nur schon des Vornamens wegen Huldrych Günthard. Bei ihm weiss man nie, ob er jetzt vor lauter Forschen übernächtigt ist oder einfach nur eine Scheisslaune hat, weil er schon wieder einen Abend bei Mineralwasser und doofen Fragen in einem Fernsehstudio verbringen muss. All diese Herren herrschen über uns. Denn sie sind es, die darüber entscheiden, wann wir wieder mit welcher Schutzmaske, welchem Sicherheitsabstand und wie viel Gspänli in der Gartenbeiz Monsieur Bersets „Ischjeene“-Massnahmen einhalten dürfen, für die mit der Rechnung das Desinfektionsmittel gereicht wird.

Das ist wahre Macht! Und macht mich eifersüchtig. Ich hätte doch auch so viel Kluges zu sagen. Aber ich kann leider nicht, denn ich stehe ja zur besten Sendezeit in der Blechkolonne beim McDrive.

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