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Der Bergsturz wird jetzt von der Polizei untersucht

In Bondo sind die Aufräumarbeiten in vollem Gang. Doch Bewohner bleiben ihren Häusern fern, selbst wenn sie heim könnten. Derweil will die Polizei herausfinden, wie gut Berggänger vor Gefahren gewarnt wurden.

28.08.17 - 05:00 Uhr
Ereignisse

Immer wieder knallt es laut. Grobe Felsbrocken am Ausgang der Val Bondasca werden am Sonntag gesprengt. «Diese können maschinell nicht abtransportiert werden», erklärt Roman Rüegg, der Sprecher der Kantonspolizei Graubünden, vor dem Gemeindehaus in Promontogno.

Nach dem Bergsturz vom Mittwoch in Bondo versuchen Fachleute, die Lage zu sichern, damit die evakuierten Bewohner heim können. Ein Teil der Bevölkerung könnte theoretisch jetzt schon ins Dorf zurück, will aber nicht. Zu gross ist die Angst vor weiteren Gerölllawinen. Den Einwohnern stecken bange Momente vom Freitag in den Knochen. Kurz, nachdem sie in ihre Häuser zurückzukehren konnten, mussten sie diese wegen eines erneuten Murganges auch schon wieder räumen. (Ausgabe vom Samstag).

Keine Hoffnung gibt es für die acht vermissten Berggänger. Die Polizei hat die Suche nach ihnen am Samstag definitiv eingestellt. «Wir können niemanden mehr finden», sagte Andrea Mittner, Einsatzleiter der Kantonspolizei. Die Suchmannschaften hätten zu diesem Schluss kommen müssen. Man habe alle verfügbaren Mittel eingesetzt – Helikopter, technische Suchgeräte, Hunde und Rettungstrupps, aber trotzdem niemanden gefunden. Die Angehörigen wurden bereits kontaktiert. Ihnen wurde angeboten, sich vor Ort ein Bild zu machen.

Angesichts der Bilder im Val Bondasca sei es nachvollziehbar, dass die Suchaktion eingestellt werden musste, erklärte der Bündner Sicherheitsdirektor Christian Rathgeb, nachdem er sich am Samstag einen Eindruck vom Ausmass der Zerstörung gemacht hatte. «Es ist schwer, Worte zu finden, um die Situation in Bondo zu beschreiben», sagte er.

Staatsanwaltschaft eingeschaltet

Am Sonntag ist die Lage am Piz Cengalo unverändert. Weiterhin müsse man mit Felsabbrüchen oder Murgängen rechnen, sagt Polizeisprecher Rüegg. Und dann erklärt er, dass die Kantonspolizei eine Untersuchung eingeleitet hat. «Wir gehen unter anderem der Frage nach, ob auf die Naturgefahren in der Val Bondasca ausreichend hingewiesen wurde.» Die Staatsanwaltschaft sei eingeschaltet worden, sagt er.

Offenbar hatte die Gemeinde Bregaglia, zu der Bondo gehört, im Val Bondasca Warnschilder entlang von Wanderwegen aufgestellt. Mindestens ein Wanderweg war gesperrt, aber scheinbar nicht das ganze Gebiet. An Besitzer von Maiensässen wurden Warnbriefe verschickt. Offenbar war für ein paar dieser Hütten sogar ein Betretungsverbot ausgesprochen worden. Diese Massnahmen erwiesen sich am Unglückstag als fundamental. Die gewaltige Gerölllawine nach dem Bergsturz walzte ein Dutzend Maiensässe nieder, ohne dass nach bisherigen Erkenntnissen dort jemand zu Schaden kam.

Gespenstische Atmosphäre

Am Sonntag ist die Atmosphäre in Promontogno, dem Nachbardorf von Bondo, geradezu gespenstisch. Die Gassen des 200-Seelen-Dorfes sind menschenleer, viele Strassen gesperrt. Da bespricht sich ein Polizist mit einem Zivilschützer. Dort dirigiert ein Helfer den Durchgangsverkehr. Er erhält ein Kommando über Funk. «Capito, rispondere», antwortet er. Dann wieder Ruhe. Niemand sagt ein Wort zu viel. Jeder ist fokussiert auf seine Aufgabe.

Im Auffangbecken wühlen sich unterdessen drei Bagger durch Schlamm und Geröll. Einige Brocken sind zu gross für ihre Schaufeln. Sie werden vorerst beiseite geräumt oder in den Morast gerammt. Die zentrale Aufgabe der Räumungstrupps ist das Leeren eines Auffangbeckens für Gestein und Geschiebe, welches das Dorf vor Murgängen schützt. Das Becken ist bereits ziemlich voll. Da das Risiko von weiteren Gerölllawinen besteht, sollen wieder Reserven geschaffen werden.

Immer wieder fliegt die Heli Bernina Einsätze in die Val Bondasca. Der Helikopter trägt ein Gepäckfach an der Seite. Darin transportiere man Messinstrumente ins Tal und aus dem Tal heraus, erklärt der Pilot.

Nach und nach versammeln sich Schaulustige um das Gemeindehaus von Promontogno. Ein Vater zeigt seinem Sohn das prall gefüllte Auffangbecken: «Sieh mal die grossen Steine, der Schlamm, die Trümmer». Die meisten sind Touristen. Viele verbringen ihre Ferien hier. Auch eine Fahrradgruppe aus Adliswil ist zugegen, um sich ein Bild der Lage zu machen.

Ein Polizist pfeift einige Schaulustige zurück, die sich ins Sperrgebiet schleichen wollen. Mürrisch weist er sie auf ein Fussgängerverbotsschild hin. Widerwillig befolgen sie die Anweisungen.

Einheimische sind kaum unterwegs. Diejenigen, die man zu Gesicht bekommt, sind bei der Arbeit. Zu Mittag ist Schichtwechsel. Immer mehr Arbeiter versammeln sich beim Gemeindehaus von Promontogno. Zeit fürs Mittagessen. «Buon appetito!» wünscht der Polizist im Vorbeigehen, als Arbeiter ihre Plastikteller mit Steaks, Bratkartoffeln und Karottengemüse aus dem Gemeindehaus tragen.

Die Arbeiter setzen sich zusammen an den Steintisch vor einem alten Bauernhaus. Man atmet durch, macht Witze. Galgenhumor im Angesicht der Katastrophe. Plötzlich durchdringt Kirchengeläute die kurze Mittagsruhe. Ein Lebenszeichen aus Bondo. Dann erhalten die Männer einen Funkspruch. Es ist aus mit der Ruhe, die Arbeit ruft. Einer greift zum Funkgerät. «Capito, rispondere.»

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