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Wenn die Amseln an Weihnachten singen

Vogelkonzerte an Weihnachten, Zeckenbisse und laichende Frösche im Januar: Ein milder Winter wie der diesjährige wirkt sich vielerorts auf die Tierwelt aus. Ein Experte erzählt.

Simone
Zwinggi
23.03.20 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Amseln sind robust und anpassungsfähig: Wechselnde Temperaturen sind für sie kein Grund zur Sorge.
Amseln sind robust und anpassungsfähig: Wechselnde Temperaturen sind für sie kein Grund zur Sorge.
PIXABAY

Wer sich vergangene Weihnachten mit einem Konzert auf das heilige Fest einstimmen wollte, musste nicht weit gehen, sondern nur das Fenster öffnen. «Ich habe die Amseln bereits vor den Weihnachtstagen singen gehört», erzählt Ueli Rehsteiner, Direktor des Bündner Naturmuseums. «Das war ungewohnt früh.» Rehsteiner bestätigt damit, was wohl vielen aufgefallen sein dürfte: Dass die Vögel mitten im Winter sangen, trillerten und pfiffen, als ob sie bereits den Frühling begrüssen würden. Genau das taten sie auf eine Art auch, wie Rehsteiner erläutert. «Es waren die extrem milden Temperaturen des jetzt zu Ende gehenden Winters, welche die Vögel singen liessen.»

Rehsteiner und sein Team vom Bündner Naturmuseum vereinen ein grosses Wissen über die einheimische Tierwelt. «Doch forschen, also systematisch Daten erheben, das machen wir nicht.» Der Museumsdirektor ist aber im steten Austausch mit Experten verschiedener einheimischer Tierarten. Und kann damit seine Beobachtungen mit aktuellem Fachwissen ergänzen. Zum Beispiel in Bezug auf die Vögel: «Einzelne Vogelarten, die bei uns heimisch sind, haben kein Problem mit einem milden Winter. Kohlmeisen und Spatzen kommen gut damit zurecht. Und Amseln sind besonders anpassungsfähig.» Vor allem letztere freuen sich darüber, wenn bei wenig Schnee und milden Temperaturen ihre Leibspeise fast ganzjährig verfügbar ist: die Regenwürmer.

Übereinstimmung stimmt nicht mehr

Gerade für Zugvögel aber sind milde Temperaturen im Winter ein Problem. «Ihr inneres System ist fein tariert», erklärt Rehsteiner. «Wenn sie zurückkommen, haben die Insekten, die sie fressen, genau das richtige Entwicklungsstadium.» Sind die Temperaturen hierzulande aber zu warm, entwickeln sich die Insekten früher als sonst und die Vögel finden nicht mehr ihre gewohnte Nahrung vor. «Vögel mit spezifischen Ansprüchen wie zum Beispiel der Trauerschnäpper haben dann ein Problem. Die Übereinstimmung zwischen dem unveränderten Zeitpunkt ihrer Rückkehr und dem Entwicklungsstand der Insekten stimmt nicht mehr», führt Rehsteiner weiter aus.

Fast zwei Monate zu früh

Vor allem bei den Amphibien lassen sich die Auswirkungen des milden Winter gut beobachten. «Normalerweise erwachen die heimischen Frösche Ende Februar, Anfang März aus ihrer Winterstarre. Heuer wurden sie an gewissen Orten bereits Anfang Januar gesichtet. Auch laichten sie dann bereits», so Rehsteiner. Das sei vor allem dann ein Problem, wenn die Temperaturen nach dem Laichen stark schwanken und unter den Gefrierpunkt fallen würden. Während einzelne Froscharten robust sind und Minustemperaturen über kurze Zeit ertragen, bedeuten sie für andere den Tod.

Der Holzbock und die Sieben-Grad-Celsius-Grenze

Dass ein milder Winter die Tierwelt beeinflusst, das bekommt der Mensch bei einem der kleinsten Tiere negativ zu spüren: bei der Zecke. «Es gibt eine Art ‹magische Temperaturgrenze› beim ‹Holzbock›», erklärt Rehsteiner. «Ab Temperaturen von sieben Grad Celsius wird er aktiv.» So kam es in diesem Jahr vor, dass bereits im Januar Leute von Zeckenstiche berichteten.

Zecken leben in den Gräsern und im Unterholz. Man muss sie sich «abholen», also durch die Gräser oder das Unterholz streifen, damit sie hängenbleiben und stechen können. «Ob Hunde und Katzen oder Menschen betroffen waren, wäre noch abzuklären. Der Winter war zwar mild, aber zu sommerlicher Kleidung mit kurzen Hosen und T-Shirt dürfte der Januar dennoch nicht verleitet haben», meint Rehsteiner. Ob beim Tier oder beim Menschen: Mühsam sind die kleinen Tierchen so oder so. Sind die Temperaturen im Winter mild, gilt nach einem Spaziergang im Wald und über Wiesen dasselbe wie im Sommer: Den Körper sorgfältig nach Zecken absuchen und sie sofort entfernen.

Simone Zwinggi ist Redaktorin bei Zeitung und Online. Nach einem Sportstudium wendete sie sich dem Journalismus zu. Sie ist hauptberuflich Mutter, arbeitet in einem Teilzeitpensum bei der «Südostschweiz» und hält Anekdoten aus ihrem Familienleben in regelmässigen Abständen im Blog Breistift fest. Mehr Infos

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