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Ein literarischer Spiegel der Debatte ums Verhüllungsverbot

Mit der Erzählung «Die Hülle» hat Sandra Künzi ein Stück Literatur geschrieben, das die hitzige Debatte um das Verhüllungsverbot in der Schweiz in bester Manier spiegelt.

Agentur
sda
25.02.21 - 07:00 Uhr
Kultur
Die Berner Spoken-Word-Künstlerin und Autorin Sandra Künzi mischt sich mit ihrer Literatur in die politische Debatte um das Verhüllungsverbot ein. Ihre Erzählung "Die Hülle" ist ein beissender Kommentar zur emotionalen Debatte um das Thema. (Archivbild)
Die Berner Spoken-Word-Künstlerin und Autorin Sandra Künzi mischt sich mit ihrer Literatur in die politische Debatte um das Verhüllungsverbot ein. Ihre Erzählung "Die Hülle" ist ein beissender Kommentar zur emotionalen Debatte um das Thema. (Archivbild)
Keystone/ALESSANDRO DELLA VALLE

Nur: Soll sich Literatur überhaupt in die Politik einmischen? Dazu hat die Berner Autorin eine klare Haltung. «Es ist nicht ausschliesslich, aber auch die Aufgabe der Literatur, zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung zu beziehen», sagt Sandra Künzi gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Literatur produziert ein Narrativ, und darin steckt der Begriff Narr, was auf Narrenfreiheit hinausläuft.» Diese wiederum ermögliche über Humor eine positive Form der Distanz.

Künzi beweist mit «Die Hülle» einen witzigen, hintersinnigen, streckenweise auch bösen Humor. Eine namenlose Ich-Erzählerin stösst auf einer gemeinsamen Wanderung mit ihrer Freundin Charlotte mit maskierten Fasnächtlern zusammen. Offen bleibt, ob in der Innerschweiz oder im Lötschental; urchig geht jedenfalls es zu.

Drei Arten der Verhüllung

Charlotte verhilft ihr dann zu einem ersten Engagement, als Werbemaskottchen im Osterhasenkostüm. Und es folgt ein weiteres: Sie schlüpft in die Rolle einer Burkaträgerin und tritt in einer Talkshow auf, ohne selber auch nur die leiseste Ahnung vom Islam zu haben. Doch ihr Auftritt stösst auf ungemeines Interesse, da echte Burka- oder Niqabträgerinnen ganz offensichtlich rar sind. Fortan wird sie von Talkshow zu Talkshow gereicht - bis in einer Zeitung ein Interview mit ihr erscheint, geschrieben von ihrem Lover Klaus. Doch dieses Interview hat sie nie gegeben. Ein Schelm, wer hier nicht an den betrügerischen Schwindel des Spiegel-Reporters Claas Relotius denkt.

Zudem wartet die Autorin Künzi mit der Pointe auf, dass ihre Ich-Erzählerin ausgerechnet Schauspielerin ist. «Es hat mir gefallen, ein Schau-Spiel mit dem Verhüllen zu treiben», erklärt sie und verweist auf die drei Arten der Verhüllung in ihrem Buch, die sie provokativ nebeneinander stellt. In einer Schlüsselstelle von «Die Hülle» lässt sie ihre Erzählerin denken: «Keine Maske, mit der man die Sau rauslassen konnte. Keine Osterhasen, die einem das Leben versüssen. Keine Burkas, um sich zu verstecken.»

Burkas, um sich zu verstecken? Ist das nicht gar harmlos? «Darum geht es ja gerade: Die Schauspielerin versteckt sich in der Burka und macht dieses Stück Stoff zur Hülle. Sie weiss nichts und will gar nichts wissen über die Frauen, die wirklich darin stecken.» Künzi parallelisiert ihre Schauspielerin mit den meisten Schweizerinnen und Schweizern, die am 7. März über das Verhüllungsverbot abstimmen: «Wer kennt schon eine echte Burkaträgerin? Wer hat sich ernsthaft mit den vielen Facetten des Islam auseinandergesetzt?»

Keine Anweisung zur Abstimmung

Aber - und darauf zielt die Erzählung «Die Hülle» ab - die Talkshow-Burkaträgerin wie auch Klaus alias Claas Relotius sind erfolgreich, weil sie «lediglich die Erwartungen ihres Publikums erfüllen, nur die Versionen einer Geschichte erzählen, die ihr Gegenüber hören will.» Und weiter sagt Künzi über die hitzigen Debatten um diese Abstimmungsvorlage: «Es geht nicht um die Burka. Es geht um unseren Umgang mit dem Fremden. Es geht um unsere Projektionen in diese Hülle.»

Dabei erliegt die Autorin in ihrer Erzählung nicht der Versuchung, ihren Leserinnen auch gleich noch zu sagen, wie sie abstimmen sollen. «Literarisch ist das nicht interessant», sagt Künzi.

Der schmale Band enthält die rund 70-seitige Erzählung und ein letztes Kapitel, das mit «Demokratie» überschrieben ist. Darin verweist Künzi darauf, dass ihre Erzählung «auf den Diskussionen rund um die Volksinitiative 'Ja zum Verhüllungsverbot'» basiert; zudem sind der Initiativtext wie der Gegenvorschlag im Wortlaut abgedruckt. Und der Leserin, dem Leser stellt sich das Problem, wie sie mit dem Spiegel umgehen sollen, den ihnen die Närrin in dieser Erzählung vorhält.

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