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Warten und wieder weiter: Unterwegs mit dem Güterzug von Chur nach Samedan

Wie fährt es sich eigentlich mit einem Güterzug der Rhätischen Bahn? Wir haben die Strecke von Chur nach Samedan für euch getestet.

Bündner Woche
26.07.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Von Riccarda Hartmann

«Gute Fahrt», wünscht der Lokführer, als er aussteigt, auf dem Gleis 13 in Chur landet und den Führerstand Sami El Hammoud überlässt, den wir heute während seiner Fahrt mit dem Güterzug von Chur bis nach Samedan begleiten. Es ist halb elf Uhr an einem Mittwochmorgen im Juli. Der Zug kam von Landquart. 5135 seine Nummer.

Sami El Hammond steigt ein. Und schon kann es losgehen. Nein, noch nicht so schnell. Zuerst müssen Wagen ab- und angehängt werden. Sami El Hammoud fährt langsam weg vom Perron in den Süden, bis dorthin, wo die vielen Gleise nebeneinanderliegen und wo Personenzüge einfach durchfahren. Zwei Rangiermitarbeitende warten bereits. Sie werden die Wagen anhängen, die ebenfalls noch bis nach Samedan oder weiter nach Pontresina müssen, werden technische Kontrollen durchführen und den Güterzug für die Abfahrt bereit machen. Aus dem Funkgerät ertönt knackend die Stimme eines Rangierers: «Wir müssen noch einen einreihen.» Sami El Hammoud bestätigt: «Einen einreihen, jawohl.» Kurz muss er warten, bis ein weiteres Zeichen des Rangierers kommt. Währenddessen erklärt der Lokführer die Signale, die die Lämpchen neben den Gleisen senden. Die weiss leuchtenden Lämpchen am Boden sind für das Manöver im Bahnhofsbereich. Die rot und grün leuchtenden grösseren Lämpchen sind das Hauptsignal für die Zugfahrt. Rot: nicht fahren. Grün: fahren. Noch ist das Hauptsignal für unseren Zug rot.

Wagen lang und Wagen halbe

«5135 rückwärts anfahren», kommt es aus dem Funkgerät. Sami El Hammoud antwortet alsbald: «5135 rückwärts anfahren.» Langsam setzt sich der Zug rückwärts in Bewegung. Ein Piepen ertönt. Dann ein zweites. Ein drittes. «Den Ton, den man hört, ist die Verbindung zwischen mir und dem Rangierer», erklärt der Lokführer. Das Piepen geht weiter. Immer mit dem gleichen Abstand von wenigen Sekunden. Wie wenn jemand beim Einparken eines Autos sagen würde: «Weiter, weiter, weiter.» Die maximale Geschwindigkeit beim Anfahren eines Güterwagens beträgt fünf Kilometer pro Stunde. Irgendwann kommt knackend: «Wagen lang.» Der Zug wird leicht langsamer. «Halbe.» Langsamer. «Vier». Langsamer. «Zwei.» Noch langsamer. «Eine». Jetzt steht er fast. Dann ist der Kontakt da, den man vorne gar nicht mitbekommt. Das Gleiche geschieht noch einmal von vorne mit einem zweiten Wagen. Dann werden die Bremsen geprüft. Nun kann es losgehen. Das rote Signal wechselt auf grün. Der Güterzug verlässt den Bahnhof Chur und bald die Stadt selbst.

Alleine auf der Strecke durch das Domleschg. Bild Riccarda Hartmann
Alleine auf der Strecke durch das Domleschg. Bild Riccarda Hartmann
Der Kran im Güterumschlagszentrum in Samedan. Bild Riccarda Hartmann
Der Kran im Güterumschlagszentrum in Samedan. Bild Riccarda Hartmann

261 Tonnen auf 100 Meter

Während der Zug durch das Domleschg fährt, ein paar Daten zum Güterzug 5135 an jenem Tag: Zu transportierende Güter sind Benzin, Zement, Dieselkraftstoff und Lebensmittel. Im Ganzen sieben Wagen, die nach Samedan und Pontresina gefahren werden. Ein Gewicht von 261 Tonnen. Eine gesamte Zuglänge von 100 Metern. Die maximale Geschwindigkeit, mit der dieser Zug fahren darf, beträgt 60 Kilometer pro Stunde. Je nach Last und ob leer oder beladen unterwegs, können Güterzüge bei der RhB mit bis zu 90 Kilometern pro Stunde verkehren.

Zurück in den Führerstand. Zurück zum Zug, der über die Schienen fährt. Durch die Täler und über die Albulalinie. Wann immer Leute in neonorangenen Westen oder Arbeitskleidung an den Gleisen stehen oder wenn ein Zug entgegenkommt, hebt Sami El Hammoud die Hand. Die Personen tun es ihm gleich. Nach dem Prinzip: Ich habe dich gesehen.

Sami El Hammoud: «Der Güterzug wartet, die Priorität gilt dem Personenzug.» Bild Riccarda Hartmann
Sami El Hammoud: «Der Güterzug wartet, die Priorität gilt dem Personenzug.» Bild Riccarda Hartmann

Der Zug fährt. Und hält. Immer mal wieder. «Der Güterzug wartet, die Priorität gilt dem Personenzug», erklärt der Lokführer. Grundsätzlich fahren Güterzüge auch fahrplanmässig und müssen die Zeit einhalten, bei Kreuzungen oder Verspätungen von Personenzügen erhalten jedoch diese den Vorzug. Im Fahrplan der Güterzüge sind diese Halte bereits eingerechnet. Und so wartet der Zug. An Bahnhöfen oder auf der Strecke. Wartet auf Personenzüge, die an ihm vorbei in die gleiche Richtung fahren. Wartet auf Güterzüge, die ihm entgegenkommen. Und so wartet auch der Lokführer. Doch das mache er gerne. «Besonders im Sommer ist es schön zum Warten», sagt er bei einem Halt in Tiefencastel, draussen neben der Lokomotive. Die Sonne wärmt. Der Wind kühlt. Warten. Manchmal für zwei Minuten, dann wieder einmal für zehn Minuten. Aber immer geht es irgendwann weiter. Warten und wieder weiter.

Danilo Del Simone: «Am Morgen kommen vor allem Lebensmittel.» Bild Riccarda Hartmann
Danilo Del Simone: «Am Morgen kommen vor allem Lebensmittel.» Bild Riccarda Hartmann

Nach etwa zwei Stunden sind wir in Samedan angekommen. Dort werden einige Wagen abgehängt, bevor es für Sami El Hammoud mit den Gütern weiter nach Pontresina geht. Mit Danilo Del Simone, dem Produktmanager, fahren wir mit dem Auto wenige Minuten zum Güterumschlagszentrum im Oberengadin (Guzo). Von solchen gibt es in Graubünden noch drei weitere. Das grösste in Landquart, die anderen beiden liegen in Schnaus-Strada und Campocologno. So ist der grösste Teil des Kantons gut angeschlossen. Im Jahr 2022 wurden etwa 618'000 Tonnen Güter in Graubünden mit der Rhätischen Bahn transportiert. «Der Verkehr auf der Strasse kann somit auf die Schiene verlagert werden», sagt Danilo Del Simone. Auch wird durch das Güternetz die Grundversorgung sichergestellt.

Danilo Del Simone führt herum. Am Nachmittag ist es hier ruhig. Anders sähe es am Morgen aus, meint Danilo Del Simone. «Dann, wenn die meisten Güter ankommen, die direkt weiter müssen», erklärt er. «Das sind vor allem Lebensmittel.» Diese müssen so bald wie möglich zu den Detailhändlern gelangen. Lebensmittel und Getränke machen auch mehr als einen Viertel der transportierten Gütermenge aus. Gefolgt von Baumaterialien und übrigem Verkehr wie leere Container und Kleinsendungen. Mit dem grossen gelben Kran werden die Container jeweils vom Zugwagen auf den Lastwagen gehoben und damit weitertransportiert. Dorthin, wo sie eben gebraucht werden.

www.rhb.ch/de/buendner-gueterbahn

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