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Jung, pragmatisch, erfolgreich

Julia Müller ist mit ihren 22 Jahren das jüngste Mitglied des Grossen Rats. Die SP-Politikerin setzt sich für Frauen ein – und ist unter anderen deshalb für den Titel «Bündnerin des Jahres 2018» nominiert.

Kristina
Schmid
19.02.19 - 04:30 Uhr
Politik
Julia Müller hört bei einer Debatte im Grossen Rat zu.
Julia Müller hört bei einer Debatte im Grossen Rat zu.
ARCHIVBILD

Sie ist pragmatisch. Julia Müller. Erst begann die heute 22-Jährige ein Studium der Sozialwissenschaften. Dann wechselte sie ihr Studium zu Rechtswissenschaften. Mit der Begründung, dass ihr bei der Jobsuche nach Abschluss des Jus-Studiums mehr Türen offen stehen werden. Nach dem Studium will sie das Anwaltspatent machen. Zwar finde man auch ohne einen Job, mit Anwaltspatent jedoch einen besseren. Pragmatisch.

Und so ist sie auch als Grossrätin: In der August-Session wollte SP-Jungpolitikerin Julia Müller von der Regierung wissen, wie der Kanton Graubünden mit Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt umzugehen gedenke. Die Regierung fertigte die Anfrage mit Copy-Paste-Antworten aus dem Flyer des Büros für Gleichstellung von Mann und Frau ab. Medial war der Aufschrei gross. Politikerinnen und Politiker beschwerten sich über die schlechte Arbeit der Regierung. Aber nicht Julia Müller. «Ich kann schliesslich nicht beurteilen, ob das ein unübliches Vorgehen der Regierung war, denn ich habe nie zuvor eine Anfrage eingereicht. Ausserdem habe ich nichts davon, wenn ich die Regierung kritisiere. Damit lenke ich nur vom eigentlichen Thema ab, was nicht zweckdienlich ist. Schliesslich war nichts davon falsch, nur bereits bekannt.» Pragmatisch.

Am Hebel der Macht

Julia Müller ist pragmatisch. Sie sagt lieber Ja als Nein. Und sie bleibt optimistisch. So würde sie selber ihr Erfolgsrezept zusammenfassen. «Wer Ja sagt, dem öffnen sich neue Türen.» Es war einer der Gründe, weshalb sie sich im vergangenen Jahr für die Grossratswahlen überhaupt aufstellen liess. Sie glaubte zwar nicht daran, von den Bündner Wählern tatsächlich ins Kantonsparlament gewählt zu werden. Aber sie sagte sich damals, was sie sich vor Entscheidungen immer sagt: «Frage nicht, warum. Frage, warum nicht.» 

Ein anderer Grund, weshalb sich Julia Müller zur Grossrätin aufstellen liess: «Im Grossen Rat sitzt man am Hebel der Macht.» Das heisst: Man kann nicht nur mitdiskutieren, man kann auch mitentscheiden. Über die Zukunft in Graubünden.

In der Familie argumentieren lernen

Diskutieren. Argumentieren. Das sind zwei Sachen, die Julia Müller in ihrem Elternhaus in Felsberg gelernt hat. Morgens wurde die Zeitung gelesen, abends lief die «Tagesschau» im Fernsehen. Und dann wurde innerhalb der Familie diskutiert. Weshalb etwas gut ist. Oder eben nicht. Und so hat sie auch gelernt, ihren Worten Taten folgen zu lassen.

Ihr Vater, ein Architekt, liebte Diskussionen über Ortsplanung und den Umweltschutz. «Deshalb fuhren wir auch immer mit dem Zug überall hin», sagt Julia Müller. «Und dann erklärte uns mein Vater, weshalb das so wichtig ist.» Deshalb hat sie dieses Jahr am World Economic Forum gemeinsam mit der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg und Davoser Schülern für den Klimaschutz gestreikt.

Durch ihre Mutter kamen abends auch Themen wie Mobbing auf den Tisch. Julia Müller war oftmals die einzige Freundin von Schülerinnen, mit denen sonst niemand etwas zu tun haben wollte. 

Feministin der anderen Art

Julia Müller war schon immer eine Verfechterin von Gleichberechtigung von Mann und Frau. Denn schon früh machte sie Frauen zum Thema. Ihre Matura-Arbeit widmete sie den Politikerinnen in Graubünden. Im Jahr 2017 nahm sie das Juso-Präsidium an, weil sie fest davon überzeugt ist: «Wenn eine Frau in den Vordergrund tritt, folgen andere nach.» Und es sind auch die Frauen, die sie nun im Grossen Rat zum Thema macht. Nach ihrer ersten Anfrage reichte sie in der vergangenen Dezembersession ihre zweite Anfrage ein. Darin will sie von der Bündner Regierung erneut wissen, welche Aufgaben gegen häusliche Gewalt erfüllt wurden und werden.

Julia Müller ist Feministin, die Quoten als temporäre Lösung sieht. Keine, die auf den Tisch haut, um sich Gehör zu verschaffen. Keine, die poltert. Aber eine, die Frauen ins Licht rückt. Eine, die sagt: Frauen gehören hier hin. Ganz egal, wo das hier ist.

Hintergründe kennen 

Julia Müller überzeugt. Mit ihrem Wissen und den damit verbundenen Argumenten. Julia Müller ist keine Politikerin, die sich selbst ins Rampenlicht rücken will. Sie ist eine Politikerin, die tatsächlich daran interessiert ist, Lösungen zu finden. Eine Politikerin, die eine spannende neue Herausforderung sieht, mit Menschen zu diskutieren, die manchmal ganz andere Ausgangslagen und andere Ziele vor Augen haben. 

«Mit Parteikollegen der Juso diskutieren, das ist einfach. Schliesslich sind wir alle der gleichen Meinung in den grossen Fragen.» Interessant sei es im Grossen Rat. Da sitze man plötzlich Menschen gegenüber, die ein völlig anderes Weltbild hätten. Die etwa gegen Grossraubtiere im Kanton seien. «Da nützt es wenig, wenn ich einfach auf die einhaue mit meinen Argumenten. Man muss erst versuchen, diesen Menschen zu verstehen. Die Sache mit seinen Augen betrachten. Seinen Hintergrund berücksichtigen. Erst dann kann man auf Augenhöhe diskutieren, gemeinsam Lösungen suchen, etwas bewirken.» Pragmatisch.

Julia Müller über die Politik und die Jugend - so verschafft sich Letztere Gehör.

Von Montag, 18. Februar, bis Freitag, 22. Februar, stellen wir Euch an dieser Stelle die fünf Kandidatinnen und Kandidaten für den Titel «Bündner/in des Jahres 2018» vor.

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt. Mehr Infos

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