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«Wenn Du im Land etwas ändern willst, dann musst Du nicht motzen»

Sie ist die erste schweizerisch-britische Doppelbürgerin, welche ihr Glück in der britischen Politik versucht. Die Davoserin Beatrice Bass lebt seit 16 Jahren in Grossbritannien und kandidiert für einen Sitz im britischen Unterhaus.

09.12.19 - 04:30 Uhr
Politik

Die britische Politik ist aktuell alles andere als langweilig. Brexit, Verfassungskrise und am 12. Dezember werden die Repräsentanten der Bevölkerung, die Parlamentarier, neu gewählt. Mittendrin: die Davoserin Beatrice Bass. Sie kandidiert für die Partei «Liberal Democrats» für einen der 650 Sitze im Unterhaus.

Die Partei Liberal Democrats ordnet sich in der politischen Mitte im Vereinten Königreich ein. Sie steht zwischen den Grossparteien Labour Party und Tories. Die Partei engagiert sich für Umweltschutz und gegen einen Ausstieg aus der Europäischen Union. Letzteres seit Beginn der Diskussion.

«Wenn du etwas im Land ändern willst, dann sollst du nicht einfach motzen.»

Frau Bass, waren Sie schon in der Schweiz politisch aktiv oder sind Sie erst in Grossbritannien dazu gekommen?

Seit meinem 18. Lebensjahr stimmte ich immer ab. Ich war in meinen jungen Jahren aber noch nicht so ‹angefressen› von der Politik. Während der Universität fing das dann immer mehr an. Damals gab es eine EU-Initiative, die auch in der Schweiz heiss diskutiert wurde. Ich war jedoch nicht in einer Partei. Ich wählte queerbeet.

Richtig ‹angefressen› wurde ich erst in Grossbritannien, weil da so viel gleichzeitig passierte. Aber auch, weil es nach wie vor sehr viele Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Vieles funktioniert nicht im Land. Ich habe das politische System mit den zwei Grossparteien ein bisschen lahm gefunden.

Wenn du etwas im Land ändern willst, dann sollst du nicht einfach motzen. Dann musst du die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Das ist meine Haltung, und deshalb bin ich in die Politik eingestiegen.

Worin unterscheidet sich die britische von der Schweizer Politik?

In der Schweiz haben wir eine direkte Demokratie. Viermal im Jahr geht die Bevölkerung abstimmen. In Grossbritannien haben wir keine direkte, sondern eine repräsentative Demokratie mit einem monarchischen Hintergrund. Das heisst, wir wählen nur unsere Members of Parliament (siehe Infobox unten). Davon gibt es 650, die im Westminster debattieren. Diese sind dann zuständig, das Land zu führen. Es gibt nicht so viele Referenden wie in der Schweiz. Zuletzt gab es mit dem EU-Ausstieg ein Referendum, da merkt man dann, dass die Leute überhaupt nicht gewöhnt sind, abzustimmen.

Für die 650 Sitze im Unterhaus gibt es 650 Wahlkreise, in denen abgestimmt wird. Der Kandidat mit den meisten Stimmen im Wahlkreis bekommt den Sitz, es gilt das relative Mehrheitsrecht. Eine einfache Mehrheit reicht aus, um den Sitz zu gewinnen.

«Twitter hat sogar ganz aufgehört, politische Werbung zu schalten.»

Was sind spezielle Eigenschaften im britischen Wahlkampf?

Man sammelt im Wahlkampf sehr viele Daten der Wählerinnen und Wähler. Wir sagen dem «Canvasing» (auf Deutsch: Kundenfang). Man geht von Tür zu Tür und fragt nach der Intention der Wähler.

Sehr oft sind es wenige unentschlossene Leute, die eine Wahl entscheiden. Diese versuchen wir dann anzugehen und zu überzeugen, uns zu wählen.

Aber auch Social Media wird für den Wahlkampf gebraucht. Gerade mit Facebook und Cambridge Analytica (Anmerkung der Redaktion: Datenanalyse-Unternehmen) hatten wir einige Skandale. Twitter hat sogar ganz aufgehört, politische Werbung zu schalten.

«Theoretisch klopfen wir an 40'000 Türen an.»

Der Wahlkampf ist zeitintensiv.

Ja, das ist definitiv so. Für meinen Sitz gibt es 71'000 Wähler. Dafür gibt es 40'000 «Türen», da viele Wähler im gleichen Haushalt wohnen. Theoretisch 40'000 Türen, an denen wir anklopfen.

«Im Allgemeinen wünsche ich mir, dass die Leute Mut haben, anders zu wählen.»

Am 12. Dezember sind die Parlamentswahlen. Was erhoffen Sie sich von diesen Wahlen persönlich und für Grossbritannien?

Ich bin nicht in einem Zielsitz*, wir sagen dem «Target-Seat». Ich erwarte also nicht, dass ich gewählt werde. Ich hoffe aber, dass die Liberal Democrats einen besseren Stimmenanteil als bisher erreichen werden. Ich hoffe, dass ich Zweite werde. Momentan ist zu erwarten, dass ich Dritte werde. Es wäre schön, wenn ich die Konservativen noch überholen könnte.

Im Allgemeinen wünsche ich mir, dass die Leute Mut haben, anders zu wählen. Viele wollen etwas Neues. Ich sage immer, wenn ihr etwas Neues wollt, dann müsst ihr auch etwas Neues wählen. Es steht so viel auf dem Spiel. Ich hoffe, dass die Leute nicht konservativ, also für den Brexit, wählen. Wenn die Konservativen eine Mehrheit erreichen, werden wir Ende Januar mit sehr viel Chaos und wirtschaftlicher Not aus der Europäischen Union austreten. Ich hoffe, dass meine Partei gut abschneiden wird und dass wir ein weiteres Referendum durchsetzen können.

* Ein Zielsitz ist einer, der bei den letzten Wahlen mit einem sehr geringen Stimmenunterschied gewonnen wurde. Weil er für die Konkurrenz als angreifbar gilt, ist er für alle Parteien von grosser Bedeutung. Zielsitze findet man in Wahlkreisen mit einem grossen Anteil Wechselwähler. Traditionell wird im Wahlkreis von Beatrice Bass die Labour Party gewählt.

Verfolgen Sie die Politik in Graubünden und in der Schweiz mit?

Ja, ich stimme auch immer noch in der Schweiz ab. In den letzten Wochen war ich natürlich abgelenkt von meinem eigenen Wahlkampf. Sonst verfolge ich die Politik aber gerne. Ich schaue gerne die «Arena». Ich muss sagen, auch in der Schweiz ist es immer spannend.

«Das Volk hat mehr Macht, als die meisten Leute denken.»

Und wie wird Ihre politische Karriere nach den Wahlen vom 12. Dezember weitergehen?

Da kommt es wirklich darauf an, was am 12. Dezember passiert. Ich werde sicherlich in der Politik bleiben, es war eine sehr gute Erfahrung und ich habe nun ein gutes Hintergrundwissen. Dieser Wahlkampf war wie ein Versuchslauf. Bei den nächsten Wahlen würde ich einen Sitz anpeilen, den ich auch wirklich gewinnen könnte.

Wenn es zum Brexit kommt und wir in eine Wirtschaftskrise schlafwandeln, würde ich eventuell wieder zurück in die Schweiz kommen. Ich muss nicht noch einmal eine Finanzkrise miterleben wie 2008. Und ich glaube, die Schweizer Politik müsste sich auf mich gefasst machen.

Es ist das Volk, das die Politik macht. Das Volk hat mehr Macht, als die meisten Leute denken. Es würde mich auch in der Schweiz freuen, wenn die Leute mehr teilnehmen, Interesse zeigen und mehr diskutieren.

Anna Nüesch ist freie Mitarbeiterin und arbeitet neben ihrem Multimedia-Production-Studium bei der Südostschweiz in den Redaktionen von Online/Zeitung und TV. Zuvor hatte sie ein Praktikum bei diesen Kanälen absolviert. Mehr Infos

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