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Ein Arzt für die Spitäler und ein Banker als Säckelmeister

Nur zwei Departemente verbleiben unter der gleichen Führung: In der St. Galler Regierung bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Die anstehende Spitaldebatte und die Corona-Krise haben die Konstituierung geprägt.

Pascal
Büsser
06.05.20 - 04:30 Uhr
Politik
Stehen für vier Jahre an der Spitze des Kantons: (v.l.) Fredy Fässler, Laura Bucher (beide SP), Stefan Kölliker (SVP), Bruno Damann (CVP), Marc Mächler (FDP), Susanne Hartmann (CVP), Staatssekretär Benedikt van Spyk (FDP) und Beat Tinner (FDP).Bild Gian E
Stehen für vier Jahre an der Spitze des Kantons: (v.l.) Fredy Fässler, Laura Bucher (beide SP), Stefan Kölliker (SVP), Bruno Damann (CVP), Marc Mächler (FDP), Susanne Hartmann (CVP), Staatssekretär Benedikt van Spyk (FDP) und Beat Tinner (FDP).Bild Gian E
GIAN EHRENZELLER/KEYSTONE

Es ist ein Vorgang mit Seltenheitswert: dass amtierende St. Galler Regierungsräte das Departement wechseln. Beni Würth (CVP) machte es vor vier Jahren. Er wechselte von der Spitze des Volkswirtschafts- ins Finanzdepartement. Zuvor war es über 20 Jahre zu keinem solchen Wechsel gekommen. Insofern ist es fast historisch, wenn mit Marc Mächler (FDP) und Bruno Damann (CVP) nun gleich zwei amtierende Regierungsräte eine neue Aufgabe fassen.

Wahrhaft historisch ist jedenfalls Mächlers Wechsel an die Spitze des Finanzdepartements. Es ist das erste Mal seit 150 Jahren, dass die Finanzen im Kanton nicht in der Hand der CVP, respektive der Konservativen sind. Den Säckelmeister zu stellen, schien bisher fast ein Erbrecht der einst staatstragenden Partei im Kanton zu sein.

Ungewollter Notfall für den Arzt

Mit den drei neuen Regierungsratsmitgliedern ergibt sich insgesamt so viel Bewegung in der St. Galler Regierung wie sehr lange nicht mehr. Dabei wurde an der gestrigen Medieninformation offensichtlich, dass nicht alle Wechsel auf Wunsch der jeweiligen Regierungsmitglieder erfolgten. Bruno Damann machte keinen Hehl daraus, dass er lieber im Volkswirtschaftsdepartement geblieben wäre (siehe Interview unten).

Damann ist seit vier Jahren Mitglied der Regierung. Die nun kommende Legislatur werde seine letzte sein, macht der 63-jährige Mediziner klar. Ob er am Ende selbst eingewilligt hat, das Erbe von Heidi Hanselmann (SP) anzutreten, oder ob die Regierung gar intern abgestimmt hat, wurde, wie üblich, nicht bekannt gegeben. Klar ist, dass die neue Regierung die Ämterverteilung intensiv diskutiert hat. Die Medieninfo fand eine Stunde später statt als ursprünglich angekündigt.

Auf Damann wartet nun die schwierige Aufgabe, für die von der Regierung beschlossene Reduktion der Spitalstandorte von heute neun auf vier in Parlament und Bevölkerung Mehrheiten zu finden. Und den Restrukturierungsprozess im Erfolgsfall mindestens aufzugleisen. «Die Umsetzung wird sicher länger als vier Jahre dauern», so Damann.

Finanzen plötzlich nicht begehrt

Nicht ganz freiwillig erfolgte auch der Wechsel von Mächler ins gewichtige und üblicherweise begehrte Finanzdepartement. Als Ex-Banker hatte der 50-Jährige zwar schon 2016 Interesse an den Finanzen gezeigt. Nach vier Jahren im Baudepartement hatte er nun jedoch keine unmittelbaren Wechselabsichten. «Ich hätte mir gut vorstellen können, im Baudepartement zu bleiben.» Sein Wechsel erfolge mit einem «lachenden und einem weinenden Auge». Er habe lange in der Finanzindustrie gearbeitet und sich mit Finanzpolitik beschäftigt, so Mächler. Diese Expertise gewichtete die Regierung bei der Ämterverteilung. «Mein Interesse an den Finanzen ist gegeben, aber ich mache mir nichts vor, es werden keine einfachen vier Jahre.»

Mächler spielt auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise an. Überschüsse wie zuletzt sind nicht mehr zu erwarten. Ist das der Grund, warum Bildungschef Stefan Kölliker (SVP), der seit seiner erstmaligen Wahl 2008 mit dem Finanzdepartement liebäugelt, nun verzichtet hat? Obwohl der diplomierte Treuhänder gemäss Anciennitätsprinzip nun als Erster hätte wählen können? Kölliker verneint: Das habe «keinerlei Einfluss» gehabt. «Wer mich kennt, weiss, dass ich Herausforderungen nicht aus dem Weg gehe.» Einen Einfluss hatte offenbar die Nicht-Wahl von Michael Götte als zweiter SVP-Regierungsrat. Wäre er gewählt worden, hätte er das Bildungs- und Kölliker das Finanzdepartement angestrebt, sagte Götte gestern gegenüber dem «St. Galler Tagblatt».

Das Bildungsdepartement sei «ein ausserordentlich spannendes, intensives Department mit viel Gestaltungsspielraum», sagte Kölliker nun. Er sei der amtsälteste Bildungschef der Schweiz. Da er noch immer motiviert sei, könne er «noch viel Gutes für die St. Galler Schulen bewirken.» Tatsächlich wirkte Kölliker gestern von den vier Bisherigen am besten gelaunt.

Wenig überraschend ist, dass Fredy Fässler (SP) Vorsteher im Justiz- und Sicherheitsdepartement bleibt. Die dritte Amtszeit dürfte für den 61-Jährigen die letzte sein.

Neue sind zufrieden

Zufrieden zeigten sich die drei Neuen. Die 35-jährige Juristin Laura Bucher (SP) übernimmt mit dem Departement des Innern, wo Kultur und Soziales angesiedelt sind, ein «Schlüsseldepartement» aus sozialdemokratischer Sicht. Beat Tinner (FDP) kann als neuer Volkswirtschaftsdirektor seine vielseitige Erfahrung von über 20 Jahren als Gemeindepräsident ausspielen. Den 48-Jährigen werden neben Arbeitsmarktfragen im Zuge der Coronakrise auch ÖV, Landwirtschaft und Naturschutz beschäftigen.

Susanne Hartmann (CVP), die als Einzige der Neuen im ersten Wahlgang reüssierte, beerbt Mächler im Baudepartement. Sie zeigte sich erfreut. Als Baujuristin kenne sie die Branche und als Wiler Stadtpräsidentin habe sie viele Berührungspunkte zum Bau gehabt, so die 49-Jährige.

Arzt Bruno Damann (CVP) übernimmt das Gesundheitsdepartement – sein Wunsch war das nicht.
Arzt Bruno Damann (CVP) übernimmt das Gesundheitsdepartement – sein Wunsch war das nicht.
KEYSTONE/ARCHIV

Bruno Damann, wie glücklich sind Sie mit dem Wechsel ins Gesundheitsdepartement?
Bei der Verteilung der Departemente geht es nicht um Glück oder Unglück. Die Regierung versucht die Aufgaben möglichst sinnvoll zu verteilen.

Ihr Wunschdepartement war es nicht.
Ich habe im Wahlkampf immer gesagt, dass ich im Volkswirtschaftsdepartement bleiben möchte. Es gibt noch ein paar Projekte, die ich gerne vollendet hätte. Mein Wechsel ins Gesundheitsdepartement war nun aber für die Regierung die beste Variante, deshalb habe ich dafür Hand geboten.

Bringen Sie als Arzt einen Vorteil mit?
Mein medizinisches Fachwissen ist sicher grösser als jenes der anderen Regierungsmitglieder. Tendenziell wird dieser Aspekt aber eher überschätzt. Es geht in diesem Amt letztlich darum, politische Mehrheiten zu finden.

Brauchte es nach 16 Jahren SP-Führung einen Parteiwechsel im Gesundheitsdepartement?
Nach der bürgerlichen Kritik der letzten Jahre bin ich schon der Meinung, dass das Departement nun in bürgerliche Hand musste.

Aufgrund Ihres Alters werden Sie nur noch eine Legislatur machen?
Es ist so, ich bin ein Auslaufmodell. Nach 16 Jahren unter gleicher Führung werden die Angestellten des Gesundheitsdepartements nun schnellere Departementswechsel erleben.

Es macht den Eindruck, dass niemand die heisse Kartoffel Gesundheitswesen übernehmen wollte.
Es ist kein Geheimnis, dass das Gesundheitsdepartement nicht jenes ist, das man aktuell freudig in Empfang nimmt. Die Regierung muss die Spitalvorlage (die eine Reduktion um fünf Spitalstandorte vorsieht, Red.) nicht nur im Parlament und im Volk durchbringen. Es braucht nachher auch ein Umsetzungsprogramm. Das wird sicher länger als vier Jahre dauern.

Nehmen Sie aufgrund der Coronakrise nochmals Änderungen an der Spitalstrategie vor?
Die Regierung hat die Strategie verabschiedet. Das Parlament könnte sie nun nochmals zur Überarbeitung an die Regierung zurückweisen. Ich bin aber der Meinung, dass dies falsch wäre. Ich hoffe wirklich, dass die Parlamentarier und die Bevölkerung vernünftig sind und die Strategie mittragen. Und dass es keinen Scherbenhaufen gibt.

Zeigt die Coronakrise nicht, dass man grösszügiger freie Kapazitäten in den Spitälern einplanen sollte?
Nein, wir brauchen ein gutes Gesundheitswesen, das aber bezahlbar ist. Es ist normal, dass ein System in einer Krise an den Anschlag kommt. Wenn wir das Gesundheitswesen für alle Eventualitäten ausbauen, ist das nicht finanzierbar.

Ist Ihre Glaubwürdigkeit als Arzt grösser, wenn Sie nun der Bevölkerung die Schliessung von Spitälern schmackhaft machen müssen?
Das ist denkbar.

Wie gross ist Ihre Motivation für die neue Aufgabe?
Ich habe nun einen knappen Monat, um mich darauf einzustellen. Ich werde meine volle Kraft in die Aufgabe geben, denn der Gesundheitsbereich liegt mir sehr am Herzen.

 

Regierung zeigt sich beweglich

Corona- und Spitalkrise führen zu unerwarteten Rochaden in St. Gallen.

Ein Kommentar von Pascal Büsser, Dienstchef

So viel Bewegung war bei der Aufgabenverteilung in der St. Galler Regierung schon sehr lange nicht mehr, wenn überhaupt je. Nur zwei von sieben Departementen bleiben ab Juni in gleicher Hand wie bisher. Eher überraschend ist dies im Fall von Stefan Kölliker. Der bisher einzige St. Galler SVP-Regierungsrat hat seit Amts-antritt 2008 stets mit den Finanzen geliebäugelt. Anfang Jahr deutete er erneut Ambitionen auf das gewichtige Departement an, das eine Einflussnahme in alle Staatsbereiche erlaubt. Als dienstältestem Regierungsrat stand ihm die Tür weit offen. Dass der Treuhänder nun verzichtet hat, lässt Raum zur Spekulation. Fehlende politische Unterstützung durch die Nicht-Wahl von Michael Götte als zweitem SVP-Regierungsrat mag ein Grund sein. Ein anderer, dass im Finanzdepartement durch die Coronakrise kurzfristig keine Lorbeeren zu holen sind. Schon gar nicht als SVP-Politiker, für den Steuersenkungen die Maxime sein müssen. Kölliker, Favorit der SVP für den Ständerat in vier Jahren, hatte wohl keine Lust auf Krisenmanagement, während er als Bildungschef fest im Sattel sitzt.

Nun soll Marc Mächler (FDP) als zweiter Fachmann im Gremium den Haushalt durch die Coronakrise steuern. Eine valable Wahl. Und Sinnbild, dass die Regierung die Ämter vorab nach fachlichen und nicht politischen Kriterien verteilte, was löblich ist. Die bittere Pille Gesundheitswesen musste folglich Arzt Bruno Damann schlucken. Ob am Ende freiwillig, bleibt offen. Er ist bisher nicht als grosser Kommunikator aufgefallen. Das muss sich ändern, wenn die Spitalreduktion von Erfolg gekrönt sein soll. Vielleicht ist aber gerade die nüchterne Art des CVP-Politikers im kontroversen Spitaldossier das Erfolgsrezept. Als Arzt weiss er zudem, wovon er spricht. Und kann frei von Angst vor einer Abwahl agieren. Denn es ist ohnehin seine letzte Amtszeit.

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