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Kampfjets: Mehr als Schall und Rauch?

In zwei Wochen stimmt die Schweiz über die Beschaffung von neuen Kampfflugzeugen ab. Björn Reinfried, Präsident der Glarner Juso, will nicht so viel Geld zum Fenster hinauswerfen. Für SVP-Landrat Markus Schnyder geht es um die Wahrung der Neutralität der Schweiz.

Daniel
Fischli
11.09.20 - 04:30 Uhr
Politik
Zivilist und Militär: Björn Reinfried (links) debattiert mit Markus Schnyder. Bild Daniel Fischli
Zivilist und Militär: Björn Reinfried (links) debattiert mit Markus Schnyder. Bild Daniel Fischli

Ab dem Jahr 2030 sollen neue Kampfflugzeuge die Flotten von Tiger und F/A-18 ersetzen. Für den Kauf wollen Bundesrat und Parlament maximal sechs Milliarden Franken ausgeben. Weil dagegen von der SP und den Grünen erfolgreich das Referendum ergriffen worden ist, findet eine Abstimmung über den finanziellen Rahmen statt. Über den Flugzeugtyp und die Anzahl der Flugzeuge entscheidet nach einem Ja das Parlament.

Herr Schnyder, die Befürworter des Flugzeugkaufs sagen, die heutigen Maschinen seien veraltet und hätten in einem Luftkampf keine Chance. Welches unserer Nachbarländer wird uns nächstens angreifen?

Markus Schnyder: Ich hoffe sehr, dass uns keines unserer Nachbarländer angreifen wird. Und auch sonst kein anderes Land.

Wozu brauchen wir dann die neuen Flugzeuge?

Schnyder: Nach unserer Verfassung ist die Schweiz ein neutraler Staat. Und ebenfalls in der Verfassung steht, dass wir eine Armee haben. Eine Armee ist ein Gesamtsystem, es braucht alle Teile. Die Luftwaffe ist wie das Dach eines Hauses. Das Dach ist nicht wichtiger als der Rest, aber wenn es regnet, nützt der Rest ohne Dach nichts. Wenn wir keine Luftwaffe haben wollen, müssten wir konsequenterweise die Armee ganz abschaffen.

Herr Reinfried, geht es gar nicht um die Flugzeuge – und Sie wollen eigentlich die Armee abschaffen?

Björn Reinfried: Es geht nicht darum, dass die Armee ganz abgeschafft wird. Sondern darum, nicht so viel Geld für Flugzeuge aus dem Fenster zu werfen, die wir nicht brauchen. Manches an der Armee ist durchaus sinnvoll, zum Beispiel der Einsatz nach Katastrophen.

Was sagen Sie zum Argument, dass eine Armee ein Gesamtsystem sei, aus dem man nicht einzelne Teile herausbrechen könne?

Reinfried: Für die Aufgaben der Luftwaffe würden auch günstigere Flugzeuge reichen. In der Abstimmung geht es vor allem um den Preis.

Herr Schnyder, für die Luftpolizei braucht es doch keine teuren Kampfflugzeuge.

Schnyder: Die Luftpolizei ist nur eine der Aufgaben der Luftwaffe. Für eine normale Lage, wie wir sie jetzt haben und von der wir hoffen, dass sie sich nie ändert, gibt es tatsächlich günstigere Flugzeuge. Sie fliegen etwa Schallgeschwindigkeit, könnten also an ein Linienflugzeug heranfliegen. Mit ihren Waffen- und Radarsystemen können sie aber nur bei gutem Wetter intervenieren. Bei der Gripen-Abstimmung 2014 ist von den Gegnern gesagt worden, er sei nur ein Papierflieger, es brauche etwas besseres.

Herr Reinfried, halten Sie es für ausgeschlossen, dass es einmal mehr braucht als nur eine Luftpolizei?

Reinfried: Natürlich wissen wir nie, was uns die Weltgeschichte bringt. Wenn uns China einmal vor der Tür stehen würde, hätte unsere Armee ein echtes Problem. Die Frage ist, ob wir jetzt 24 Milliarden verheizen wollen für eine Gefahr, die wahrscheinlich gar nicht besteht. Auf dem Sorgenbarometer der Schweizer Bevölkerung kommt Krieg auf jeden Fall nicht auf den vorderen Plätzen vor. Dort sind die AHV, die Krankenkassenprämien, Ausländer, Asyl, Umwelt, Arbeitslosigkeit.

Schnyder: Die Sicherheit ist eines der grundlegendsten Bedürfnisse des Menschen. Wir würden uns gar nicht über die AHV oder die Krankenkassenprämien Sorgen machen, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet wäre. Dass China an der Grenze stehen würde, ist wirklich ein unrealistisches Szenario. Aber die Schweiz ist neutral und wir haben in den zwei Weltkriegen gesehen, dass man die Neutralität bewaffnet verteidigen können muss.

Welches ist denn das realistische Szenario, in dem die Schweiz Kampfflugzeuge einsetzen muss?

Schnyder: Es geht um ganz Grundsätzliches: Um die Neutralität wahren zu können, muss man die Lufthoheit verteidigen können. Ohne Lufthoheit nützen alle Bodentruppen nichts.

Aber Sie sagen selber, dass es unrealistisch ist, dass die Schweiz angegriffen wird.

Schnyder: Es ist unrealistisch, dass die Schweiz angegriffen wird. Aber es ist nicht unrealistisch, dass ihr Luftraum von einer Kriegspartei missbraucht wird. Und dann müssen wir uns wehren, um die Neutralität zu wahren. Mit den neuen Flugzeugen könnten wir vier Wochen lang 24 Stunden permanent ein paar Maschinen in der Luft haben. Das ist so oder so kein Kriegsszenario, davon gehen wir schon gar nicht aus.

Reinfried: Auch dieses Szenario ist doch komplett unwahrscheinlich. Weshalb kümmern wir uns nicht zuerst um diejenigen Dinge, die tatsächlich wichtig sind? Das Coronavirus zum Beispiel.

Schnyder: Aber der Bundesrat hat doch wegen Corona gerade 100 Milliarden in die Wirtschaft gesteckt. Und bei den Flugzeugen reden wir von sechs Milliarden über 30 Jahre.

Die Befürworter und die Gegner operieren mit unterschiedlichen Zahlen. Für die Befürworter kosten die Flugzeuge sechs, für die Gegner 24 Milliarden. Woher kommt die Differenz?

Schnyder: Für die sechs Milliarden kaufen wir die Flugzeuge. Auf die 24 Milliarden kommen die Gegner, weil sie 18 Milliarden für alle Kosten über die ganze Einsatzzeit dazuzählen: Personal, Infrastruktur, Munition, Treibstoff. Wobei man dazu sagen muss, dass man beim F/A-18, der mit seinen zwei Triebwerken im Unterhalt ein teures Flugzeug ist, dafür vom doppelten Anschaffungspreis ausgeht. Das wären im aktuellen Fall dann zwölf und nicht 18 Milliarden. So rechnet man aber bei keiner Investition. An der Gemeindeversammlung, wenn es um den Bau eines Schulhauses geht, spricht man auch nicht von den Unterhalts- und Heizkosten.

Reinfried: Wir sind ein reiches Land und könnten uns die Flugzeuge leisten. Aber die Frage ist, ob wir das wirklich wollen. Ein teures Spielzeug.

Schnyder: Wir leisten in den nächsten vier Jahren für elf Milliarden Entwicklungshilfe. Darüber könnten wir auch diskutieren. Muss es denn so viel sein? Dazu gibt es kein Referendum, darüber können wir nicht abstimmen.

Herr Schnyder, vor sechs Jahren haben wir zum Gripen nein gesagt. Jetzt kommt eine doppelt so teure Beschaffung. Wird da nicht der Volkswille missachtet?

Schnyder: Wir haben eine ganz andere Ausgangslage. Damals ging es um den Ersatz des Tigers in einer Zweiflotten-Strategie mit der F/A-18. Der Tiger wird nach dem Nein zum Gripen nicht ersetzt und wir sprechen jetzt vom Ersatz der F/A-18.

Was passiert bei einem Nein?

Schnyder: Wenn dieser Flieger nicht kommt, haben wir ein ernsthaftes Problem. Dann müssen wir uns unsere Bundesverfassung vornehmen, weil die Luftwaffe ihren Auftrag nicht mehr erfüllen kann.

Sie würden ein Nein in zwei Wochen also als Signal dafür nehmen, dass die Bevölkerung die Luftwaffe in ihrer heutigen Form ablehnt und dass wir über ihren Auftrag reden müssen?

Schnyder: Irgendwann wird ja nur schon der Zeitplan eng. So ein Flugzeug kauft man nicht in zwei Jahren. Wenn wir jetzt nein sagen, wird die Wahrscheinlichkeit relativ gross, dass wir nach 2030 den Luftraum nicht mehr schützen können. Und wir müssten auch über die ganze Armee reden, denn eine halbe Armee ist sinnlos. Dann müssten wir vielleicht einen Vertrag mit der Nato abschliessen.

Wären Sie denn bereit, sich auf die Diskussion einzulassen, welche Alternativen zur Armee es geben könnte?

Schnyder: Diese Diskussion werden wir bei einem Nein führen müssen, ob wir wollen oder nicht.

Reinfried: Vielleicht können wir nach einem Nein endlich über die Aufgaben der Armee reden, ganz abschaffen müssen wir sie nicht. Vor einer Abstimmung sind immer alle sehr emotional, man redet davon, dass die Welt untergeht. Und nachher sind wir immer ganz gut darin, uns zu arrangieren.

Luftwaffen-Offizier gegen Juso-Präsident

Markus Schnyder sitzt für die SVP im Gemeinderat Glarus und im Landrat. Er ist Hauptmann der Luftwaffe, 32 Jahre alt und Immobilienspezialist. Schnyder wohnt in Netstal.

Björn Reinfried ist Präsident der Juso Glarus. Er ist nicht militärdienstpflichtig, 25 Jahre alt, ist gelernter Polygraf und beginnt im Herbst mit einem Studium der Geschichte und Politik. Reinfried wohnt in Glarus.

Daniel Fischli arbeitet als Redaktor bei den «Glarner Nachrichten». Er hat Philosophie und deutsche Sprache und Literatur studiert. Mehr Infos

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