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Regula N. Keller: Die neue Glarner Landratspräsidentin ist eine selbstkritische Feministin 

Regula N. Keller ist überzeugte Kämpferin für eine solidarische Gesellschaft und einen ausgebauten Umweltschutz. Am Mittwoch wird sie zur 138. Landratspräsidentin gewählt. Ein Einblick in ihr Leben. 

Denise
Aepli
28.06.23 - 04:30 Uhr
Politik
Auf ihrer grünen Terrasse: Regula Keller von den Grünen ist die 138. Landratspräsidentin.
Auf ihrer grünen Terrasse: Regula Keller von den Grünen ist die 138. Landratspräsidentin.
Bild Sasi Subramaniam

Regula Keller wohnt an einem historischen Ort: Von ihrer Terrasse aus sieht sie den Ennendaner Hänggiturm und dessen Kamin. Sie lehnt sich etwas übers Geländer und streckt ihren Kopf nach rechts. «Da hinten ist die Fabrikantenvilla. Früher hatten die Fabrikbesitzer ihre Arbeiter gerne im Auge und bauten ihre Villen neben der Fabrik», sagt die Historikerin.

Ihr Fachwissen bringt die 53-Jährige manchmal auch zum Träumen: «Ich bin gerne in historischen Häusern und male mir aus, wer hier gelebt hat und wie es ihnen ergangen ist.» Auch ihre Wohnung ist aus den Zeiten der Industrialisierung. Obwohl das Wohnhaus renoviert wurde, sind hie und da Überbleibsel einer vergangenen Zeit zu sehen, wie eine alte Holztür, eine abgetretene Steinstufe oder ein verzierter Holzbalken.

Pflanzenliebe und Beikraut

Auf der Terrasse ist alles grün, Dutzende Pflanzen zieren den Sitzplatz: Olivenbäume, Hortensien, Kräuter und etwas Unkraut. «Eine akribische Gärtnerin bin ich jetzt nicht wirklich.» Regula Keller witzelt: «Meine Mutter kann ohne ihren Garten nicht leben, aber das Nutzgarten-Gen hat sie mir nicht mitgegeben.» Sie spricht sehr bedacht. In ihrem Vokabular gibt es das Wort «Unkraut» nicht, sie spricht von «Beikraut».

Das besagte Beikraut wuchert zwischen den Steinplatten der Terrasse. «Den Kampf gegen das Beikraut habe ich aufgegeben. Zum einen, weil Jäten eine sehr zeitintensive Tätigkeit ist, und zum anderen, weil es zu schnell wieder nachwächst. Dafür haben die Bienen und Spatzen etwas davon. Das ist jetzt mein Beitrag zur Biodiversität.» Kommt Regula Keller nach ihrem Arbeitstag als Geschichts- und Deutschlehrerin an der Kantonsschule Glarus heim, widmet sie sich ihren Sprösslingen: «Ich finde es beruhigend, abends nach Hause zu kommen und meine Pflanzen zu giessen und mich um sie zu kümmern.» Auf der Terrasse schimmert Kellers Geschichtsaffinität durch: «Genau wie alte Häuser mag ich auch alte Schlossgärten. Meine Rosen sind auch welche, die es im 18. Jahrhundert gab. Sie riechen wunderbar.»

Reformierte Feministin

Regula Kellers Haare werden vom Wind herumgewirbelt. Sie sagt, auf ihrer Terrasse winde es eigentlich immer. Aufgewachsen ist Regula Keller in Domat/Ems. Ihr Vater arbeitete bei den Emser Werken, der heutigen Ems-Chemie. «Mein Vater hat Christoph Blocher als einen Patron wahrgenommen, der gut zur Fabrik schaute», erinnert sie sich. Er selbst war auch bei der SVP und wurde, als Regula Keller ein Kind war, Gemeindevorstand. Später wechselte er zur BDP.

Sie sagt, sein Amt habe sie nicht nur politisiert, sondern auch sozialisiert: «Jeden Samstag spazierte mein Vater durch das Dorf und erkundigte sich, ob auf dem Friedhof, bei der Feuerwehr oder dem Bürgerheim alles in Ordnung war. Manchmal durfte ich mitspazieren. Das hat mir ein ‹Saatkorn eingepflanzt›, denn dadurch habe ich gelernt, was Pflichtbewusstsein ist und dass es Leute braucht, die sich kümmern.» 

«Es schliesst sich nicht aus, reformiert und Feministin zu sein. Wäre ich jedoch katholisch erzogen worden, wäre ich wegen des offiziellen Frauenbildes der Katholischen Kirche ausgetreten.»

Regula Keller, Landratspräsidentin

Nicht nur ihr Vater war Politiker, auch die Mutter war eine Legislatur lang SVP-Gemeinderätin. Eine Zeit lang war sie Religionslehrerin. Auf die Frage, wie es komme, dass Regula Keller aus einer bürgerlichen und religiösen Familie stammt und nun links-grüne Politik betreibt, antwortet sie: «Es schliesst sich nicht aus, reformiert und Feministin zu sein. Wäre ich jedoch katholisch erzogen worden, wäre ich wegen des offiziellen Frauenbildes der Katholischen Kirche ausgetreten.» Nicht nur ihr Studium, sondern auch verschiedene Regionalzeitungen und die NZZ haben zu ihrer Meinungsbildung beigetragen. So begann sie den Umgang mit Frauen problematisch zu finden. 

Im Jahr 2000 begann sie, an der Kantonsschule in Glarus zu arbeiten und trat den Grünen Glarus bei, die sie seit elf Jahren im Landrat vertritt. Regula Keller und Res Schlittler rückten damals für Andreas Kreis und Fridolin Hunold nach. Heute ist sie Präsidentin der Grünen des Kantons Glarus.

Im Alter mehr nach links gerückt

Der Wind pfeift durch die alten Gebäude und bringt den Lorbeerbaum hinter Regula Keller zum Wippen. Stürmisch ist auch Regula Kellers Gemütslage, wenn es um Themen wie Gleichstellung oder Klimaschutz geht. Sie kämpft für eine solidarische Gesellschaft, die Gleichstellung aller Menschen und einen Umweltschutz, der die Natur vor Übernutzung und Ausbeutung schützt. Auf die Frage, ob sie mit der Zeit radikaler geworden ist, antwortet Regula Keller: «Radikal ist bei mir als harmoniebedürftiger Mensch etwas zu weit gegriffen. Aber ich habe schon irgendwie erkannt, dass es in einem Schneckentempo Richtung Gleichberechtigung geht. Darum finde ich, braucht es mehr Druck, Vorstösse und Energie.»

«Das ständige Zuwarten und Ausreden wie ‹die Schweiz ist zu klein, um etwas zu verändern›, dafür habe ich schlichtweg keine Geduld mehr.»

Regula Keller, Landratspräsidentin

Sie möchte, dass es auch in Umweltthemen vorwärtsgeht und stellt fest, sie sei während ihrer politischen Karriere mehr nach links gerückt: «Das ständige Zuwarten und Ausreden wie ‹die Schweiz ist zu klein, um etwas zu verändern›, dafür habe ich schlichtweg keine Geduld mehr. Ich glaube, das erklärt meine Verschiebung nach links.»

Die fünfte Präsidentin

Der Wind wirkt orientierungslos: Er kommt von allen Seiten. Weil die Häuser hier im Hof hoch sind, habe sich wohl so was wie eine kleine Windhose gebildet, mutmasst Regula Keller in erhöhter Stimme, um sich gegen den Wind durchzusetzen. Nach Ursula Herren (FDP), Annemai Kamm (SVP), Christine Bickel (SP) und Susanne Elmer-Feuz (FDP) ist Regula Keller die fünfte Frau von 138 Landratspräsidentinnen und -präsidenten und nach Mathias Zopfi die zweite Grüne in diesem Amt. «Dass es seit der Einführung des Frauenstimmrechts im Schnitt nur eine Frau pro Jahrzehnt im Landratspräsidium hatte, ist sehr schade. Aber das bessert sich jetzt sicher in den nächsten Jahren, weil wir gerade eine Frauenquote von 50 Prozent haben im Landratsbüro.» 

Regula Keller fühlt sich nicht davon eingeschüchtert, erst die fünfte weibliche Landratspräsidentin zu sein: «Ich trete dieses Amt voller Zuversicht an. Wenn andere das können, kann ich das auch. Es darf nicht mit unterschiedlichen Ellen gemessen werden zwischen Männern und Frauen. Und wenn Fehler passieren, ist es wichtig, diese einzugestehen und zu korrigieren.»

Lieber Platz machen, als nach Bundesbern gehen

Im Landrat ist Regula Keller dafür bekannt, oft Voten zu halten. Nun ist sie Landratspräsidentin, und in diesem Amt ist Objektivität gefragt. Auf die Frage, ob sie jetzt die Macht der Mitsprache durch Ansehen eintausche, meint sie: «Für mich ist es eine grosse Motivation, eine Meinung zu haben und für diese einzustehen, um andere zu überzeugen. Auch wenn ich das jetzt ein Jahr nicht machen kann, freue ich mich, den Landrat anders kennenzulernen.»

Dass sie nach ihrer Amtszeit als Präsidentin in den Regierungsrat oder nach Bundesbern geht, ist nicht wahrscheinlich. Eher erwägt Keller den Rückzug aus der Politik: «Ich sehe mich eher als Parlamentarierin, nicht im Exekutivamt und nicht auf der Bernerbühne. Ich finde, das Parlament sollte weiblicher werden, aber auch jünger.» Keller spürt, dass bei den jüngeren Grünen ein kräftiger Tatendrang herrscht. «Da sich viele Junge einsetzen wollen, möchte ich denen Platz machen.» Keller erwähnt, dass sie eine grosse Verfechterin der Amtszeitbeschränkung in der Exekutive ist. In Graubünden ist nach zwölf Jahren Schluss, und das sei gut so, findet sie.

Im Landrat

Der Landrat tagt am Mittwoch, 28. Juni, ab 8 Uhr, im Rathaus Glarus, zur Behandlung der folgenden Geschäfte:
● Vereidigung von zwei neuen Mitgliedern
● Wahl des Präsidiums, des Vizepräsidiums und des Landratsbüros
● Wahl einer Staats- und Jugendanwältin
● Genehmigung des Protokolls der Landsgemeinde
● Legislaturplanung: zurückgewiesene Massnahmen
● Landsgemeindegeschäfte 2024
● Geschäftsbericht von Kantonalbank und Kantonsspital
● Interpellationen

Denise Aepli hat eine Ausbildung als Wollenverkäuferin gemacht. Sie arbeitet seit 2022 als redaktionelle Mitarbeiterin bei den «Glarner Nachrichten» und interessiert sich für Politik, Ökologie, Soziales, Kunst und Kultur. Mehr Infos

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