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Letzter Auftritt des Zeremonienmeisters

Hansjörg Dürst amtet seit 1998 als Ratsschreiber der Glarner Regierung. Demnächst wird er pensioniert. Grund genug, dem «Tätschmeister» der Landsgemeinde über die Schultern zu schauen.

Martin
Meier
07.05.23 - 18:38 Uhr
Politik
Strahlen im «Glarnerhof» um die Wette: Hansjörg Dürst und Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider kurz vor dem Abmarsch ins Rathaus.
Strahlen im «Glarnerhof» um die Wette: Hansjörg Dürst und Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider kurz vor dem Abmarsch ins Rathaus.
Bild Sasi Subramaniam

Hansjörg Dürst winkt im Vorfeld der Landsgemeinde ab: «Das stimmt jetzt nicht», korrigiert er die «Glarner Nachrichten». «Ich bin nicht schwieriger erreichbar als George Clooney.» Abstreiten kann der Ratsschreiber dann aber nicht, dass er manchmal doch als Schauspieler arbeitet, wenn es darum geht, gute Mine zum bösen Spiel zu machen. Oder als Regisseur, wenn er die Verantwortung tragen muss, das «Drehbuch» der Landsgemeinde im Griff zu behalten: mit Frack und Zylinder, staatsmännisch eben, wie einst Sir Churchill. Und von wegen Zigarren: Die raucht «Sir» Dürst auch.

Noch während das Licht die Nacht zum Tag macht, nach seinen Angaben um 5 Uhr, schrillt bei Hansjörg Dürst am Sonntag der Wecker, am Tag seiner letzten Landsgemeinde, zumindest als Ratsschreiber. Im Volksgarten pfeifen derweil die Vögel, der Springbrunnen plätschert und in hohen, aufrechten Rispensträussen grüssen die Blühten der Kastanienbäume. Und plötzlich steht er vor einem, im altehrwürdigen «Glarnerhof», der 1882 erbaut wurde: der Zeremonienmeister des Tages, der am längsten dienende Ratsschreiber der Schweiz.

Am 1. Januar 1998 hat Dürst als Ratsschreiber angefangen. Wie viele Landsgemeinden er seither organisiert hat. Dürst zählt nach. «Ich glaube, es sind 26.» Aber Dürst ist nicht nur der Zeremonienmeister der Landsgemeinde, sondern auch ihr juristische Gewissen.

Das Gipfeli schnappt sich Dürst zwischen dem Händeschütteln

Es ist 8.15 Uhr: Wie viele Kilometer der Ratsschreiber wohl heute zurücklegt? Dürst zückt sofort sein Handy. «Bis jetzt sind es 3400 Schritte. Bis am Abend werden es geschätzte 14 000 sein.» Dürst im Stress? Dürst verneint! Er mache dies ja nicht zum ersten Mal. Und er meint damit, die Gäste willkommen zu heissen. Die er alle kennt. Sagt er wenigstens. Das Gipfeli schnappt sich Dürst schnell zwischen dem Händeschütteln, beispielsweise, nachdem er Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider begrüsst hat. Im Nachhinein besteht der Ratsschreiber den Test: Die Frage, wer neben Madame Conseiller fédéral steht, beantwortet er korrekt: «Die Staatssekretärin für Migration, Christine Schraner Burgener.»

Für den Ratsschreiber zählen allerdings nicht nur Politiker. Er zählt auch auf Wetterfrösche, auf das Urteil von SRF-Meteorologe Felix Blumer, wenn es um die Frage geht, ob die Landsgemeinde nicht besser abgesagt werden sollte, wenn sie droht, ins Wasser zu fallen.

Es ist 9 Uhr. Ab jetzt werden die Gäste in Gruppen vom «Glarnerhof» ins Rathaus geleitet, eskortiert von zwei Polizeibeamten. Dürst ermutigt die Glarner Regierungsräte, zügig voranzuschreiten. Weil sich etwas zusammenbraut. Die Warnung kommt zu spät. Just waren die Regenschirme offen, kübelt es in Strömen. Selbst Felix Blumer muss im Nachhinein zugeben, dass er mit so viel Nass nicht gerechnet hat. Immerhin sollte der Wetterfrosch in einem anderen Thema recht bekommen. Er schätzte das Ende der Landsgemeinden in einer Umfrage der «Glarner Nachrichten» am exaktesten ein.

In die Politik wollte der Ratsschreiber nie einsteigen

Obwohl dem Ratsschreiber nachgesagt wird, der sechste Regierungsrat im Kanton zu sein, hat Dürst nie damit geliebäugelt, selbst in die Politik einzusteigen: «Nur in meinen Albträumen.» Denn Macht wolle er keine, nur Wissen. Dürst sagt dies im Wissen, dass Letzteres auch eine Art Macht ist.

Hansjörg Dürst verliest zum letzten Mal die Eidesformel.
Hansjörg Dürst verliest zum letzten Mal die Eidesformel.
Bild Sasi Subramaniam

Dürst gilt als gesellig. Mit dem du habe er kein Problem, sagt er. «Wann habe ich mit dir Duzis gemacht», fragte er vor Kurzem seine Sekretärin. «Sofort», antwortet Anna, die auf die Frage, ob Dürst ein guter Chef sei, mit dem Satz antwortete: «Sonst würde ich nicht schon seit 15 Jahren für ihn arbeiten.»

Der Zeremonienmeister geniesst das Bad in der Menge

Es ist 9.30 Uhr. Was jetzt beginnt, ist der Einmarsch auf den Landsgemeindeplatz. Dürsts letzter in seiner Funktion. Wehmütig sei er nicht, meint der Ratsschreiber. «Schliesslich folgt der Abschied in homöopathischen Dosen.» Verbergen kann Dürst aber nicht, dass er das Bad in der Menge, die am Strassenrand Spalier stehenden Mitlandleute, noch einmal geniesst. Der Regen scheint im nichts anzuhaben. Zumal er weiss, dass im Ring sein Platz überdacht ist. Und siehe da: Wenig später wechseln gar die Mitbringsel der Mitlandleute ihre Funktion: Aus den Regen- werden Sonnenschirme.

Im Dienste der Staatskanzlei steht Hansjörg Dürst noch bis am 31. Juli. Nach seinem Höhepunkt in seiner Laufbahn als Ratsschreiber gefragt, antwortet der designierte Pensionär: «Der Höhepunkt ist, dass ich überhaupt Ratsschreiber sein durfte.»

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