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Zu viele Fragezeichen

Die Unsicherheiten sind zu gross: 2020 findet in Davos kein Spengler Cup statt. Die coronabedingte Absage trifft auch den National-League-Klub hart.

Roman
Michel
30.09.20 - 04:30 Uhr
Eishockey
Keine Chance zur Titelverteidigung: Das Team Canada muss mindestens ein Jahr auf seinen nächsten Triumph am Spengler Cup warten.
Keine Chance zur Titelverteidigung: Das Team Canada muss mindestens ein Jahr auf seinen nächsten Triumph am Spengler Cup warten.
MELANIE DUCHENE/KEYSTONE

Der Entscheid hatte sich abgezeichnet – auch wenn in den vergangenen Monaten immer wieder ein kleiner Hoffnungsfunken aufflammte. Im Sommer etwa, als die Zahl der Corona-Infektionen in der Schweiz wochenlang im zweistelligen Bereich lag und viele Länder ihre Grenzen wieder öffneten. Oder später, als der Bundesrat die Teilöffnung der Stadien bewilligte. Die Entwicklungen der letzten Wochen indes liessen den Verantwortlichen keine Wahl. Der Spengler Cup findet in diesem Dezember nicht statt – erst zum fünften Mal in der beinahe hundertjährigen Geschichte nach 1939, 1940, 1949 und 1956.

Wer weiss, was Ende Jahr ist?

Das Traditionsturnier kämpft im Coronajahr mit den gleichen Pro-blemen wie andere internationale Grossanlässe. «Die Absage war alternativlos», sagt OK-Präsident Marc Gianola, «die Planung un- ter den gegebenen Umständen schlicht nicht möglich.» Hauptgrund für den Entscheid sind die stets ändernden Reisebeschränkungen. Stand heute müsste das Team von Sparta Prag (Tschechien) nach der Einreise in die Schweiz während zehn Tagen in Quarantäne, die Mannschaft von KooKoo Kouvola darf gar nicht erst in die Schweiz kommen, da die Grenzen in Finnland geschlossen sind. Und auch das Team Canada, das traditionell Spieler aus verschiedenen ausländischen Ligen rekrutiert, müsste mit gewissen Einschränkungen rechnen. «Im Profi-Hockey ist es schlicht unmöglich, dass ein Team mitten in der Saison während zehn Tagen in Quarantäne muss», sagt Gianola.

Und wer weiss schon, wie sich die Situation im Dezember präsentiert? Auch deshalb verwarfen die Verantwortlichen die Idee, «Ersatz-Mannschaften» aus anderen Ländern einzuladen. Zu gross das Risiko, dass es wenige Tage vor dem Turnierstart zu kurzfristigen Absagen oder gar während des Events zu Coronafällen kommen könnte.

Auch gesellschaftliche Überlegungen spielten beim Entscheid, der das Organisationskomitee gestern im Anschluss an eine Sitzung des Verwaltungsrats fällte, eine Rolle. Ein Volksfest, wie es am ältesten Klubturnier der Welt üb-lich ist, ist unter den aktuellen Umständen nicht möglich. «Ein Spengler Cup ohne Fan-Zelt, im halb leeren Stadion und ohne Stehplatz-Tribüne hat nichts mehr mit einem Hockeyfest gleich, wie wir es uns gewohnt sind», sagt Gianola. Selbst mit dem besten Schutzkonzept wäre dies nicht realisierbar gewesen.

Die Lebensader versiegt

Die Absage trifft den HCD nicht nur sportlich. Das Turnier in der Altjahreswoche ist seit Jahren seine Existenzgrundlage. Ohne Spengler Cup kein HCD – zumindest nicht in dieser Form. Jährlich pilgern Eishockey-Fans aus der ganzen Schweiz in Scharen ins Landwassertal. Im vergangenen Jahr waren acht von elf Partien ausverkauft. Die Spiele werden in über 40 Ländern weltweit übertragen. Offizielle Zahlen gibt es keine. Kenner gehen aber davon aus, dass der HCD mit dem Turnier über zwei Millionen Franken verdient. Zwar haben die Organisatoren eine Versicherung gegen Ausfälle abgeschlossen, diese gilt jedoch nur bei Schnee und Sturm sowie bei einer kurzfristigen Absage eines Teams – nicht aber bei einer Pandemie. Gianola will keine Zahlen kommentieren, sagt lediglich, dass die Coronakrise in Davos, je nach Verlauf, einen Verlust von zwei bis fünf Millionen Franken verursachen wird. Zur Spengler-Cup-Absage kommt die Reduktion der Zuschauerkapazität in der Liga sowie die fehlenden Zusatzeinnahmen, die der HCD jeweils mit der Vermietung seiner Räumlichkeiten während des WEF erwirtschaftet. Auch Synergien bei der Infrastruktur hätten dieses Jahr nicht genutzt werden können.

5 Absagen
Erst zum fünften Mal in der Geschichte des Spengler Cup findet das Turnier nicht statt. Die letzte Absage: 1956.

Übrigens: Spielplan-Macher Willi Vögtlin hat das Szenario Spengler-Cup-Absage bei der Gestaltung des National-League-Kalenders bereits einkalkuliert. So finden zwischen Weihnachten und Neujahr zwei Partien mit Davoser Beteiligung (gegen Ambri- Piotta und gegen Zug) sowie das Romand-Derby zwischen Genf und Lausanne statt. Ganz auf Eishockey verzichten müssen die Fans über die Festtage also doch nicht.

Drei Fragen an Marc Gianola

  1. Das Coronavirus zwingt den Spengler Cup in die Knie. Das Turnier findet nicht statt. Wie sehr schmerzt dieser Entscheid?
    Die Absage ist uns definitiv nicht leicht gefallen. Den Spengler Cup gibt es seit bald hundert Jahren, erst viermal musste das Turnier in dieser Zeit abgesagt werden. Bei der letzten Austragung 2019 hatten wir das Glück, dass die Pandemie noch weit weg war. Wir sind in den vergangenen Monaten regel- mässig zusammengesessen. Der Entscheid war schliesslich alternativlos.

  2. Was gab am Ende den Ausschlag, das Turnier abzusagen?
    Es sind verschiedene Unsicherheiten, die zusammenkommen. Der Hauptgrund sind die ständig ändernden Reisebeschränkungen. Es gibt Teams, die bei einer Reise in die Schweiz oder bei der Rückkehr in ihre Heimat mehrere Tage in Quarantäne müssten. Das ist schlicht unmöglich während einer laufenden Saison. Unter den aktuellen Umständen können wir ausserdem nicht garantieren, dass alle Teams pünktlich wieder heimreisen dürfen. Hinzu kommt, dass ein Spengler Cup ohne Fanzelt, im halb leeren Stadion und ohne Stehplätze nichts mehr mit dem Hockeyfest zu tun hat, wie wir es während der Altjahreswoche gewohnt sind. Selbst mit dem besten Schutzkonzept wäre dies nicht realisierbar gewesen.

  3. Welche finanziellen Auswirkungen hat die Absage für den HC Davos?
    Wir rechnen, je nach Verlauf der Krise, mit einem Verlust von total zwei bis fünf Millionen Franken. Das hängt stark davon ab, wie sich die Zuschauerzahlen in der Meisterschaft entwickeln werden. Durch die Infrastruktur, die wir nicht wie gewohnt ans WEF vermieten können (das Wirtschaftsforum ist ebenfalls abgesagt, die Red.), entgehen uns zusätzliche Einnahmen. (rmi)

Roman Michel ist Leiter Sport. Er arbeitet als Sportreporter und -moderator bei TV Südostschweiz. Weiter schreibt er für die gemeinsame Sportredaktion der Zeitung Südostschweiz und suedostschweiz.ch. Roman Michel studierte Journalismus und Organisationskommunikation und arbeitet seit 2017 für die Medienfamilie Südostschweiz. Mehr Infos

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