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Ein Neopren und viele alte Kleider – eine Bündnerin in Berlin

Der Arbeit wegen ist sie nach Berlin gezogen, nicht zuletzt der Liebe wegen lebt sie nun seit rund acht Jahren dort: die Grüscherin Petra Aleardi. Für die Moderation der Jubiläumsshow «Spärgamenter» kam sie im letzten Monat zurück in die Heimat. Die Frohnatur über schlechte Zügeltermine, Kleider und bleibende Erinnerungen.

Simone
Zwinggi
07.12.19 - 04:30 Uhr
Stars & Sternli

Drei- bis viermal pro Jahr kommt sie ohnehin zurück in ihre alte Heimat nach Grüsch, um ihre Familie zu besuchen, die Schauspielerin Petra Aleardi. Im vergangenen Monat war der Anlass aber ein spezieller. Aleardi durfte «Spärgamenter 288» moderieren, die Jubiläumsfeier von vier Grüscher Dorfvereinen. Im eigens dafür aufgestellten Zirkuszelt fühlte sich Aleardi in ihre Kindheit und Jugend zurückversetzt. «An der Show waren vom MuKi-Turnen über die Jugi bis zu den Aktiven alle beteiligt. Es war schön, an einem Abend mitzuerleben, welchen Weg die Kinder in einem Dorfverein gehen», erzählt sie. Klein-Petra – damals mit ihrem Mädchennamen Auer – war ebenfalls ins Vereinsleben integriert. «Zuerst in der Musikgesellschaft, später auch im Turnverein.»

Doch um sich richtig entfalten zu können, reichten Aleardi die Vereinsbühnen nicht aus. Ihr schauspielerisches Talent führte sie an die Schauspielschule in Zürich. Danach merkte sie, dass sie noch weiter von zu Hause weg musste, um ihren Beruf auszuüben. «Ich wollte nach Berlin, dorthin, wo viele Schauspieler und Künstler ihr Glück versuchen.» Diesen Entscheid hätten nicht alle Leute in ihrem Umfeld von Anfang an verstanden. «Wieso Deutschland, ein Land, das der Schweiz doch so ähnlich ist?», wollten die Skeptiker wissen. «Doch das ist es nicht. Abgesehen von grösseren Chancen auf einen Auftrag sind die Leute dort viel ehrlicher, viel direkter», hat die Grüscherin erfahren müssen. «Es weht ein rauer Wind in Berlin.»

Garstiger Berliner Winter

Rau war der Wind nicht nur bei der Suche nach Arbeit, rau war auch das Wetter, als Aleardi nach Berlin zog. «Ich zog im Winter nach Berlin – ein äusserst ungünstiger Zeitpunkt», erzählt die Schauspielerin und lacht. Doch damals war ihr nicht so sehr nach Lachen zumute: als junge Schauspielerin, neu in der Millionenstadt Berlin, kleine Wohnung, auf Jobsuche, und dazu dieses elend graue, nass-kalte Wetter. «Es war zäh», sagt Aleardi. Doch sie hielt durch. «Ein Jahr musste ich durchhalten, dann wurde es besser.» Sie wusste, sie konnte auf die Unterstützung von zuhause zählen, hatte eine Freundin in Berlin und lernte hier auch die Liebe ihres Lebens kennen. Mit dem Zürcher Schauspieler Pasquale Aleardi ist die Bündnerin seit sieben Jahren liiert, heute haben sie zwei gemeinsame Söhne.

Auch ihrer Kinder wegen denkt sie oft an die Heimat. «Ich hatte eine wunderbare Kindheit in Grüsch, erlebte viele schöne Dinge draussen in der Natur. Eigentlich wäre es schön, unsere beiden Jungs könnten auch so aufwachsen.» Sobald ihre Söhne im Kindergartenalter seien, müsse sie sich mit ihrem Mann ernsthafte Gedanken über eine Rückkehr machen.

Ein Neopren für die Stadt

Denn das Leben in der Grossstadt ist anders als im Prättigau, wo man «Chäsgetschäder» isst und den Kindern sagt, sie sollen anständig sein und keine «Spärgamenter» machen. Ersteres ist ein traditionelles Gericht mit viel Käse und Brot, letzteres Unfug, der in Erinnerung bleibt und auch Jahre später immer wieder gerne erzählt wird. Die Jubiläumsshow in Grüsch war so benannt – passt er auch zu Aleardi? «Oh, ich mache gerne ‹Spärgamenter›» sagt die Frohnatur und denkt einen Moment nach.

«Wohl einzigartig ist das Erlebnis als Schauspielschülerinnen beim Vortragen eines Monologs», erinnert sie sich. Gemeinsam mit einer Kollegin habe sie im Brockenhaus nach passenden Kleidern gesucht. «Wir wollten etwas abgefahrenes.» Entschieden hatte sie sich schliesslich für einen Neoprenanzug. Wer einen Neopren schon einmal getragen hat, weiss: Diese Dinger sind unglaublich eng. So auch das Modell, das Aleardi fand und anzog. «Ich konnte es aber nicht mehr ausziehen», erzählt sie. «Also musste ich in diesem Outfit quer durch die Stadt an die Schauspielschule.» Doch damit nicht genug: Die Schuhe, die sie im Brockenhaus ausgezogen und irgendwo deponiert hatte, waren nicht mehr auffindbar. «Die hatte das Brocki in der Zwischenzeit verkauft.» Was tun? Ein paar Rollschuhe in Aleardis Grösse lagen herum. Also rein in die Rollschuhe, raus aus dem Brocki, schliesslich rief die Aufführung des Monologs. «Es war Sommer, der Schweiss lief mir in Strömen runter, und während des Monologs war uns die Absurdität des Moments plötzlich so bewusst, dass wir uns vor Lachen fast nicht mehr halten konnten.» Eine schlechte Note habe schliesslich resultiert. Wie es wohl den Experten bei der Beurteilung erging?

Petra Aleardi und Julia Wacker haben das Musiktheater «Virginia und das verräterische Herz» auch in der Schweiz aufgeführt.

Kinderbuch und Hörspiel

Doch zurück ins Heute. Derzeit spielt sich Aleardis Leben nicht auf der Theaterbühne, sondern vor allem zuhause bei der Familie ab. Sohn Leonardo kam 2016, Armando 2018 auf die Welt. «In Deutschland kann man nach der Geburt eines Kindes in die bis drei Jahre dauernde Elternzeit gehen. Ich entschied mich für zwei Jahre», erklärt Aleardi. Bei kleineren Projekten sei sie aber immer wieder involviert. «Das Hörspiel ‹Virginia und das verräterische Herz› wird demnächst veröffentlicht. Ein Musiktheater in Anlehnung an Edgar Allan Poes Kurzgeschichte ‹Das verräterische Herz›. Es wird von Harfenmusik untermalt.» Das selbst geschriebene Kinderbuch, das noch auf den Feinschliff wartet, soll Ende des kommenden Jahres fertig sein.

Kleider und die Nachhaltigkeit

Und dann fällt ihr nochmal etwas ein, das vielleicht in die Kategorie «Spärgamenter» passt. Ein kleines Projekt, eine familieninterne Sache, die aber ein aktuelles Thema aufgreift. «In meinen Jugendjahren kaufte ich sehr viele Kleider», erinnert sich Aleardi. «Mit meiner Mutter, die darüber nicht so erfreut war, schloss ich vor 18 Jahren eine Wette ab. Ich würde die Kleider von damals ein Leben lang tragen können, behauptete ich.» Kürzlich beim Aussortieren dieser Kleider musste sie feststellen: «Es bleibt erschreckend wenig brauchbares übrig.» Der Körper, der sich verändert hat, Geschmack, der nicht mehr derselbe ist, und Kunstleder, das zerbröckelt: Viele Kleider passten nicht mehr. «Wir haben dann ein Fotoshooting mit den verbliebenen Kleidern gemacht.» Eine weitere Anekdote, die Aleardi aus ihrem Leben erzählen kann. Und auch ein Aufruf, sich übers Kleider kaufen Gedanken zu machen.

Simone Zwinggi ist Redaktorin bei Zeitung und Online. Nach einem Sportstudium wendete sie sich dem Journalismus zu. Sie ist hauptberuflich Mutter, arbeitet in einem Teilzeitpensum bei der «Südostschweiz» und hält Anekdoten aus ihrem Familienleben in regelmässigen Abständen im Blog Breistift fest. Mehr Infos

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