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Mit der Seilbahn zur Klagemauer: «Jerusalem ist kein Disneyland»

Das spektakuläre Panorama von Jerusalem, das Millionen Touristen in die heilige Stadt lockt, könnte schon bald um ein hochmodernes Element bereichert werden: Eine Seilbahn.

Agentur
sda
24.12.19 - 07:57 Uhr
Tourismus
Die Altstadt Jerusalems mit dem Tempelberg, dem Felsendom und der Klagemauer. Der seit Jahren andauernde Protest gegen ein Seilbahnprojekt an dieser Stelle flammt derzeit wieder auf. (Archivbild)
Die Altstadt Jerusalems mit dem Tempelberg, dem Felsendom und der Klagemauer. Der seit Jahren andauernde Protest gegen ein Seilbahnprojekt an dieser Stelle flammt derzeit wieder auf. (Archivbild)
Keystone/PETRA OROSZ

Sie soll über eine Strecke von 1,4 Kilometern mit 72 Gondeln und einer Kapazität von 3000 Fahrgästen pro Stunde in die Nähe der Klagemauer führen. Das Projekt sorgt jedoch für hitzige Debatten.

«Die Seilbahn wird Jerusalems Gesicht verändern und Touristen und Besuchern einen leichten und bequemen Zugang zur Klagemauer bieten», schwärmte Tourismusminister Yariv Levin im Mai 2018 bei der Beschlussfassung. «Jerusalem ist kein Disneyland», warnten dagegen 70 israelische Architekten, Archäologen und andere Akademiker in einem offenen Brief an den Minister.

Die israelische Regierung hat für das Vorhaben umgerechnet fast 57 Millionen Franken bereitgestellt, 2021 soll die Seilbahn in Betrieb gehen. Zu den wichtigsten Argumenten der Regierung gehört die wachsende Zahl der Besucher. Innerhalb von fünf Jahren hat sie sich laut Tourismusministerium auf rund vier Millionen in diesem Jahr verdoppelt.

Parkplatzprobleme

In der Altstadt ist es eng geworden, der Transport der Touristen bringt auch Umweltprobleme mit sich. Da könnte die Seilbahn, die über 15 Stahlmasten verlaufen soll, für Abhilfe sorgen. Sie soll an einem stillgelegten Bahnhof aus der Zeit des Osmanischen Reichs im Westteil Jerusalems beginnen, über den Zionsberg verlaufen, dann das Stadtviertel Silwan überqueren und am Touristenkomplex der Elad-Stiftung nahe der Klagemauer enden.

Touristenführer Michel Seban freut sich, dass es endlich erleichterten Zugang zu den heiligen Stätten am Tempelberg geben soll. «Hier kann doch niemand mehr parken», sagt Seban. «Nur die Busse können die Reisegruppen noch absetzen - und müssen dann sofort Platz machen!»

Verschandelung der historischen Skyline

Die Unterzeichner des Appells «Jerusalem ist nicht Disneyland - sein Erbe steht nicht zum Verkauf!» hingegen sehen in der Seilbahn eine Gefährdung des architektonischen Erbes der heiligen Stadt. Auch eine Gruppe von 30 renommierten Architekten und Wissenschaftlern aus aller Welt fordert einen Verzicht auf das Projekt. Eine Seilbahn sei für antike Städte wenig «angemessen», «deren Skyline seit hunderten oder tausenden von Jahren bewahrt wird».

Die Palästinenser sehen in dem Projekt einen neuen Versuch Israels, seine einseitige Annexion des Ostteils von Jerusalem zu zementieren. Die Seilbahn sei eine «grobe Verletzung der Kultur, Geschichte und Geographie» Jerusalems, schimpfte die palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi. Ende November, nach dem endgültigen grünen Licht der Regierung, zogen die Gegner des Vorhabens vor den Obersten Gerichtshof Israels.

Besonders laut sind die Proteste im palästinensischen Viertel Silwan - hier würden die Gondeln an manchen Stellen nur 14 Meter über den Köpfen der Bewohner verkehren. «Üblicherweise werden solche Seilbahnen über leeren Räumen betrieben, nicht direkt über den Menschen», sagt der Händler Abu Brahim.

Linke und Rechte sind dagegen

Zu den Klägern vor Israels Oberstem Gericht gehört auch die israelische Nichtregierungsorganisation Emek Schaveh. Sie wirft der Regierung unter anderem vor, die Archäologie für politische Zwecke zu missbrauchen.

«Die Entscheidungsträger sind so besessen davon, die jüdischen Aspekte der Stadt hervorzuheben, dass sie vergessen, das Jerusalem zu schützen, das sie so sehr lieben», sagt ihr Leiter, der Archäologe Jonathan Misrahi. Dagegen seien alle, «die sich noch daran erinnern, was Jerusalem so einzigartig macht», gegen das Projekt, fügt er hinzu - «egal, ob sie nun links stehen oder rechts».

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