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Stundenkürzungen unter dem Mäntelchen der psychischen Gesundheit

Frédéric Baudin Maissen ist der CEO von rund 50 Kindertagesstätten in der Deutsch- und Welschschweiz. Während sich seine Frau für die CVP um einen Stadtratssitz in Chur bemüht, streicht Baudin seinen Angestellten die Arbeitsstunden zusammen.

10.06.20 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Frédéric Baudin steht hinter seinen Entscheidungen. Seine Frau, Sandra Maissen, äussert sich dazu nur bedingt.
Frédéric Baudin steht hinter seinen Entscheidungen. Seine Frau, Sandra Maissen, äussert sich dazu nur bedingt.
BILDMONTAGE SUEDOSTSCHWEIZ

49 Kindertagesstätten, rund tausend Mitarbeitende. Die «pop e poppa» - Kitas verteilen sich fast über die gesamte Deutsch- und Welschschweiz. Deren CEO, Frédéric Baudin, ist auch in Graubünden kein Unbekannter, vornehmlich wegen seiner Frau Sandra Maissen, die für den Churer Stadtrat kandidiert.

In den vergangenen Wochen hat aber vielmehr Baudin die Schlagzeilen dominiert, denn Baudin hat beschlossen, die Kinderbetreuung in seinen Kitas von ursprünglich 42 Stunden auf nur noch 40 Stunden pro Woche zu reduzieren. «Tele Züri» hat darüber berichtet.

Dies betreffe zwar nur einen Teil der Angestellten, weil über die Hälfte der Mitarbeiterinnen bereits eine 40-Stunden-Woche habe, sagt Baudin. Eine Wahl hatten die Angestellten allerdings nicht – ihnen wurde die Änderungskündigung vorgelegt, entweder man akzeptierte, oder man war entlassen. «Ein Teil der Angestellten war mit den neuen Regelungen nicht einverstanden. Etwa ein Prozent. Wir sind immer noch dabei, mit einigen Angestellten eine Lösung zu finden», erklärt Baudin.

Kurz darauf wurde gemäss Baudin eine neue Lohntabelle bewilligt, die einen ebenso neuen Mindestlohn gewährleisten solle. «Damit liegen wir sieben Prozent über der Lohnempfehlung von Kibe-Suisse», erzählt Baudin und er relativiert: Dank der Einführung des neuen Mindestlohnes, habe es nur noch bei zehn bis zwölf Prozent der Mitarbeitenden eine Lohnsenkung gegeben. Die anderen Angestellten hätten entweder keine Anpassung nach unten gehabt oder sogar eine Lohnerhöhung erhalten.

Work-Life-Balance oder krisengeplagtes Unternehmen?

Doch weshalb wurden den Angestellten überhaupt zwei Arbeitsstunden pro Woche gestrichen? «Im Welschland haben wir die 40-Stunden-Woche bereits länger», erklärt Baudin. «Uns liegt die psychische Gesundheit der Angestellten am Herzen. Damit wollen wir die Betreuerinnen und Betreuer entlasten.» Die Stundenkürzung sei schon länger geplant gewesen. Doch warum jetzt, nachdem das Parlament die Krippen als systemrelevant anerkannt haben? Warum jetzt, nachdem das Unternehmen gemäss «Tele Züri» kürzlich mehrere Krippen in Zürich übernommen und das Betreuungsgeld um 30 Franken pro Tag erhöht hat?

Liegt es da nicht vielmehr nahe, dass das Unternehmen wegen Corona einen erheblichen finanziellen Schaden davongetragen hat, den es nun so zu kompensieren versucht? Schliesslich hat das Unternehmen einen Überbrückungskredit vom Bund in Anspruch genommen und Kurzarbeit für mehr als einen Monat angemeldet. Baudin erklärt: «Die Krise hat uns voll getroffen. Die erwartete Arbeitslosigkeit spüren wir bereits jetzt. Wegen Corona nimmt die Arbeitslosigkeit zu. Ab September erwarten wir einen massiven Rückgang auf dem Kita-Markt.» Auch die neue Stundenregelung wird ab dem 1. September gelten. Zudem gesteht er: «Ich weiss, dass es Mitarbeitende gibt, die damit nicht besonders zufrieden sind. Aber das ist eine Phase, wo wir durchmüssen, um die Zukunft und die Arbeitsplätze und somit die Betreuungseinrichtungen zu sichern.»

Problem ist grösser, als es scheint

Im Unternehmen von «pop e poppa» scheint der Haussegen indes schief zu hängen. So findet sich auf der Arbeitgeber-Check-Webseite «kununu.com» eine Bewertung über die Kita-Gruppe nach der anderen. Viele davon lassen kein gutes Haar an dem Unternehmen. Die meisten davon wurden erst jüngst verfasst. Auch CEO Baudin schneidet auf der Webseite nicht gut ab. So heisst es dort unter der Kategorie «Vorgesetztenverhalten»: «Diejenigen in der Führungsposition, die ganz oben regieren, haben zum Teil keine Ahnung von Pädagogik, Richtlinien, Konzepten. Bestimmen über Köpfe hinweg.»

Auch die Work-Life-Balance scheint ein grosses Thema bei den Angestellten zu sein. Ein wiederkehrender Kritikpunkt lautet: «Muss auch nach Feierabend erreichbar sein.» Ein anderer Angestellter schreibt: «Viel zu viel Arbeit für zu wenige Mitarbeiter. Früher oder später sind alle krank und kündigen. Zu Hause arbeiten und immer erreichbar sein, wird vorausgesetzt.»

Baudin hat einige der Einträge auf der Homepage direkt kommentiert. Er schreibt unter eine Bewertung, die sogar von Drohungen gegenüber den Angestellten erzählt «(…) Ich hoffe dennoch, dass Sie auch positive Erlebnisse aus Ihrem Arbeitsalltag mitnehmen können und wünsche Ihnen alles Gute.»

Die Rolle der Stadtratskandidatin

Baudins Frau, Sandra Maissen, tritt für die CVP im Rennen um den Churer Stadtratssitz an. Dabei steht sie gemäss Angaben auf ihrer Webseite für ein ausgebautes Angebot der familienergänzenden Kinderbetreuung ein. Integration und eine qualitative Betreuung seien ihr sehr wichtig. Zu den Massnahmen im Unternehmen, das ihr Mann führt, möchte sie sich nicht äussern, sie sei nicht bei «pop e poppa» tätig und könne deshalb keine Auskunft zu deren Geschäftsleitungsentscheiden geben.

Bloss: Sandra Maissen ist Geschäftsführerin der Swiss KidsCare AG, einem Start-up der «pop e poppa»-Krippen. Gegenüber «suedostschweiz.ch» äussert sich Maissen ausweichend: «In Chur ist das Angebot an Kitaplätzen meines Erachtens zurzeit angemessen. Dem müssen wir Sorge tragen, denn ein gut ausgebautes Angebot an Kitaplätzen ist eine wichtige Rahmenbedingung für die nachhaltige wirtschaftspolitische Entwicklung von Chur.» «Pop e poppa» haben im Kanton Graubünden jedoch keine Kita.

Auf die Frage, ob sich ihr politisches Engagement mit den Geschäftsleitungentscheiden ihres Mannes bei «pop e poppa» vereinbaren lasse, antwortet Maissen: «Generell ist jetzt wichtig, dass das Angebot an Kindertagesstätten aufrecht erhalten werden kann. Zu einer guten Qualität der Kindertagesstätten gehört auch, dass die Arbeitsbelastung und damit auch die Burn-out-Risiken der Mitarbeitenden nicht zu hoch sind und die Löhne die Empfehlungen der Branche einhalten.»

Fest steht: Das letzte Kapitel in dieser Geschichte ist noch nicht geschrieben – weder in den Kitas noch in Maissens Wahlkampf. Während sich ein Teil der Kita-Angestellten immer noch gegen die neuen Bedingungen wehrt, bleibt Baudin dabei: «Diese Veränderung ist positiv für unsere Mitarbeitenden und soll einen neuen Trend auf unserem Arbeitsmarkt einführen: Bessere Löhne, weniger Arbeitsstunden und fünf Ferienwochen pro Jahr.»

Mara Schlumpf ist Redaktorin und Chefin vom Dienst bei «suedostschweiz.ch». Ursprünglich kommt sie aus dem Aargau, hat ihr Herz aber vor einigen Jahren an Chur verschenkt. Mehr Infos

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