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«Die Gemeinde weiterbringen»

Seit bald einem Jahr leitet ­Philipp Wilhelm als Land­ammann die Geschicke der Landschaft Davos. Im Gespräch mit der DZ spricht er darüber, wie sich sein Leben verändert hat und wie er mit den aktuellen Herausforderungen umgeht.

Barbara
Gassler
23.12.21 - 18:55 Uhr
Leben & Freizeit
Philipp Wilhelm will auch als Landammann noch immer Privatperson bleiben.
Philipp Wilhelm will auch als Landammann noch immer Privatperson bleiben.
bg

DZ: Philipp Wilhelm, es dauerte ­etwas, bis wir diesen gemeinsamen Termin fanden. Wie sehen aktuell Ihre Tage aus? Haben Sie auch noch Zeit für Persönliches?

Philipp Wilhelm: Ja, das gibt es durchaus. Diese Zeit will ich mir auch nehmen, das ist wichtig. Doch es ist richtig, ich habe einen sehr dichten Terminkalender. ­Gerade jetzt, wo das Jahr zu Ende geht. Da gibt es das Tagesgeschäft, das es zu bewältigen gilt, und daneben die Frage, wie es mit der aktuellen Pandemiesituation in einen Winterbetrieb gehen kann. Das ist extrem herausfordernd und macht die Termindichte nicht weniger.

Apropos Vorbereitungen: Gerade wurde die Jahrestagung des WEF verschoben. Wie gehen Sie mit so etwas um?

Das sind natürlich keine einfachen Situationen. Am meisten leide ich mit allen Beteiligten, die einen grossen Effort für die Vorbereitungen leisteten. Aber ich versuche, auch in solchen Situationen optimistisch zu bleiben und zu über­legen, welches in der jeweiligen Lage der bestmögliche Schritt nach vorne ist. Wichtig ist mir in solchen Lagen auch der Austausch mit den betroffenen Branchen.

Noch einmal zum Thema WEF: Ich ­erinnere mich an einen ehemaligen Landammann, der mit den WEF-Demonstranten mitmarschierte und einen, der sie mit verschränkten ­Armen auf dem Postplatz beobachtete. Wo würden Sie sein?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Momentan beschäftigt mich eher die Frage, wie wir durch diese Winter­saison kommen. Wir mussten und müssen noch immer laufend antizipieren, was wir beitragen können, damit wir ­gerüstet sind. Wir haben die Kapazitäten zum Boostern und Testen erweitert. Und wir sehen zwar mit den aktuellen Massnahmen: Delta geht zurück. Die internationale Lage aber deutet darauf hin, dass Omikron im Januar in der Schweiz durch die Decke gehen wird. Aktuell können gravierende Meldungen wie jene der WEF-Verschiebung vom Montag fast ­jeden Tag eintreffen, und dann müssen wir reagieren.

Zurück zu Ihrem Alltag: Wann fängt ihr Tag eigentlich an?

In der Regel bin ich so gegen Viertel vor sieben hier im Büro. Dann wird der Tag besprochen, ich verschaffe mir einen Überblick und kann bereits erste Auf­gaben verteilen. Bevor die weiteren ­Covid-Verschärfungsmassnahmen erlassen wurden, kamen jeden Abend noch Veranstaltungen dazu. Da enden die Tage dann oft erst gegen neun oder zehn Uhr.

Im Sport würde man sagen, Sie seien ein Davoser Eigengewächs. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten politischen Engagements oder Schritte?

Mmh ... Ich sage immer, dass ich wegen des WEF politisch wurde, weil – als ich anfing, mich für Politik zu interessieren – dieser grosse Anlass mit der internationalen Präsenz hier war, der die gleichen grossen Fragen stellte, die mich auch interessierten: «Warum bekommen wir den Klimawandel nicht auf die Reihe? Warum geht es nicht gerechter zu auf der Welt?» Das waren die globalen Fragen, die mich interessierten, auch weil man sich während des WEFs hier damit beschäftigte. Egal auf welcher ­Seite der Gitter. Über das Studium fing ich dann an, mich dafür zu interessieren, wie Wohnraumpolitik funktioniert, und wurde Mitglied im Mieterverband. Das war ein Thema, das hier in Davos brannte und gerade heute mit dem aktuellen Fachkräftemangel und mit Fragen zum Wohnen und Arbeiten im alpinen Raum wieder intensiver diskutiert wird. Ich glaube, über diesen Weg kam ich in die Lokalpolitik und fing an, mich in Vereinen zu engagieren, etwa in der IG offenes Davos, die ich mitgründete. In den Grossen Landrat wurde ich vor fast genau 10 Jahren gewählt und habe im Januar 2012 begonnen.

Da waren Sie aber schon einige Jahre Mitglied der SP.

Da bin ich Mitglied, wenn ich es richtig im Kopf habe, seit ungefähr 2007 oder 2008 – zunächst übrigens nur in der Juso

Damals hatten Sie sicher eine klare Position zum WEF. Hat sich die, haben sich Ihre Positionen, vielleicht auch durch das Amt des Landammanns, seither verändert?

Ich hatte eigentlich nicht per se eine Position zum WEF, sondern eher zum Welt­geschehen. Dass das Jahrestreffen des WEF hier in Davos stattfand, gab mir ­Gelegenheit, mich damit zu befassen und meine Ansichten auch an Demonstrationen zum Ausdruck zu bringen. Es möge nachhaltiger zu, und her gehen und man solle nicht die Profitmaximierung in den Vordergrund stellen, sondern das ­Gemeinwohl viel mehr betonen. Das sind ja auch die Werte, die das WEF vermittelt. Insofern fühle ich mich sehr gut in diesem ­Rollenwechsel, und ich empfinde die ­Zusammenarbeit seit ich im Amt bin, und übrigens schon vorher, als sehr ­positiv. Und sonst ... Da muss ich überlegen ... Ich glaube nicht, dass ich grundsätzlich ­meine Position wechselte. Im Kleinen Landrat diskutieren wir auch keine Positionen, sondern suchen gemeinsam mit unserer engagierten Verwaltung täglich nach Lösungen für Davos. Wir haben in unseren Planungsinstrumenten Ziele und Projekte definiert, die wir gemeinsam erreichen wollen. Das Motto dazu lautet «nachhaltig, digital, vielfältig, traditionsbewusst… und rundum à jour». Das heisst auch, unsere Infrastruktur auf einem top Niveau zu halten.

Philipp Wilhelm erhält anlässlich seiner Wahl Blumen von Hanspeter Ambühl.
Philipp Wilhelm erhält anlässlich seiner Wahl Blumen von Hanspeter Ambühl.
SO (Bernhard Aebersold) 

Einen Rollenwechsel, den Sie definitiv vorgenommen haben, liegt in der Bekleidung. Sie waren derjenige, der sich nicht in die übliche Kleiderordnung zwängen lassen wollte. Kamen Sie eigentlich im Konfirmandenanzug zur Vereidigung?

(lacht) Nein, den Schritt von eher alternativer hin zu einer mehr förmlichen ­Bekleidung vollzog ich bereits, als ich in den Grossen Rat gewählt wurde. Damals wohl eher aus der Überlegung heraus, dass, wenn man mir mit einer Krawatte besser zuhört, dann lege ich mir halt wohl oder übel eine Krawatte um. Dann bekam ich Freude an Kleidung, die gut aussieht und heute ziehe ich an, was mir gefällt.

Sie waren vor Ihrer Wahl zum Landammann durch verschiedene Funktionen schon recht gut mit dem Geschehen im Rathaus vertraut. Gab es dennoch etwas, das Sie überraschte?

Diese Frage wurde mir schon oft gestellt und ich habe Mühe, sie zu beantworten. Da komme ich regelmässig ins Grübeln. Doch ich glaube, ich kannte das Geschäft schon relativ gut. Nach hundert Tagen im Amt antwortete ich, dass man relativ oft mit dem konfrontiert wird, was nicht gut ist. Das hatte ich eigentlich erwartet. Überraschend war hingegen, wie viele positive Rückmeldungen kommen. Das ist noch immer so. Oft macht man etwas und weiss eigentlich gar nicht, ob es wahrgenommen wird. Dann sind Rückmeldungen etwas Schönes. Man hört nicht nur, was schlecht ist, sondern auch, was den Leuten positiv auffällt.

Sie sind Landammann aber auch ­Privatperson. Kann man überhaupt noch Privatperson sein in einem Ort wie Davos, wo jeder jeden kennt?

Ich finde schon. Wenn ich irgendwo unterwegs bin, fühle ich mich durchaus auch als Privatperson. Ich versuche auch die Rolle als Landammann möglichst ­authentisch auszufüllen. Ich will mich nicht verstellen und eine völlig andere Person sein. Das hat vielleicht etwas mit der Erfahrung mit früheren politischen Ämtern zu tun. Wenn man das erste Mal ein solches innehat, fühlt man sich zuerst viel mehr ausgestellt. Dadurch, dass ich Grosser Landrat, Grosser Rat und Präsident der Kantonalpartei war, war ich schon vorher eine öffentliche Person und zu einem gewissen Grad daran gewohnt. So bleibe ich privat, hoffentlich, so wie man mich kennt, und habe gleichzeitig ein Amt inne.

Doch wo immer Sie sind, immer ­begegnet Ihnen doch jemand, der sagt: «Gut, sehe ich Sie ...».

Natürlich, es gibt schon Leute, die Inputs geben, Fragen haben oder manchmal auch schimpfen. Aber auch das gab es schon vorher so. Anders ist einzig, dass ich jetzt in einem Exekutivamt bin und viel direkter auch konkrete Inputs aufnehmen kann.

Eine Frage, die Ihnen sicher auch schon einige Male gestellt worden ist: Was machen Sie bei dieser Aufgabe am liebsten, oder worauf könnten Sie gut verzichten?

Ich mag eigentlich alles an diesem Amt: die Parlamentssitzungen, das Suchen nach Lösungen mit unserem Team, der Austausch mit unterschiedlichen Leuten, tolle Anlässe (sofern sie denn stattfinden können). Was dieses Amt in Davos ganz speziell macht, ist unsere Vielfältigkeit. Man hat zu tun mit Tourismusfach­-leuten, mit Gästen, mit Forschenden, ­Gewerbetreibenden, Entwicklerinnen, mit Kulturinstitutionen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und vielen mehr – auch sehr alltäglichen Dingen, die natürlich auch dazu gehören.

Und dann natürlich: Ich bin von Haus aus respektive von der Ausbildung her Planer. Und wir kommen jetzt notwendigerweise in eine Phase der intensiven Planung. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir Grundlagen schaffen, sonst stehen wir irgendwann an. Das zeigen ­etwa die Situation am Bolgen oder der fehlende Gewerberaum. Beim Verkehr ­sehen viele grossen Handlungsbedarf. Oder auch bei der Entflechtung von Biken und Wandern.

Wir haben enorm viel investiert in den vergangenen Jahren: Eisstadion, Arkadenplatz, Kulturzentrum, Dreifachturnhalle, Schulhaus Bünda. Das war wichtig. Ebenso wichtig ist nun aber, dass wir jetzt konsolidieren, Luft holen und eben: planen. So rüsten wir uns inhaltlich und finanziell für die nächste Welle von ­zukunftsgerichteten Investitionen. Dazu zählt natürlich insbesondere das Generationenprojekt am Bahnhof Dorf, wo ein nächster attraktiver, neuer und aufgewerteter Begegnungsort entstehen soll. Dieses Projekt begeistert ganz viele Leute, und es macht Freude, an solchen ­zukunftsgerichteten Projekten arbeiten zu können.

Und auf welche Tätigkeit, welche Aufgabe könnten Sie verzichten?

Schwierig zu sagen. Es gibt in einzelnen Fällen schon auch Projekte, in denen man nicht so recht vorankommt. Darum versuchen wir an verschiedenen Fronten zu arbeiten. Manchmal macht man zwei Schritte vorwärts, um festzustellen, dass wir wieder zurück müssen und schauen, wie eine Hürde genommen werden kann. Vielleicht kommt man sogar zum Schluss, dass es sich eher um eine Sackgasse handelt. Wenn es harzt, das ist dann nicht so schön. Zum Glück kam das bisher noch nicht so oft vor.

Sprechen wir vom Anstehen, vom Nicht-Weiterkommen. Im Parlament machten Sie oft die Erfahrung, dass Sie mit viel Enthusiasmus ein Thema vortrugen, um dann gnadenlos abgesägt zu werden.

Genau.

Jetzt sind Sie in der umgekehrten ­Situation. Sägen Sie nun ab?

Ich hatte bis jetzt den Eindruck, dass wir mit dem Parlament sehr gut zusammenarbeiten. In der Regierung arbeiten wir auf jeden Fall überparteilich ausgezeichnet zusammen. Das ist jetzt in der Krise umso wichtiger. Ich habe nicht das ­Gefühl, dass wir, sprich der Kleine Landrat, etwas absägten, was das Parlament wollte. Im Gegenteil, wir beantworten eingereichte Vorstösse wohlwollend, aber natürlich im Rahmen der Grenzen, die wir als gegeben erachten. Zwar haben wir unsere Legislaturziele, sind aber auch offen für Ideen des Parlaments. Insbesondere wenn wir sehen, dass diese in die gleiche Richtung zielen. Es ist nicht unsere Auffassung, dass wir allein alle Lösungen kennen und nehmen Anregungen gerne entgegen. Sicherlich auch kritisch und mit Blick auf das Machbare und auf die vorhandenen Ressourcen, denen wir Sorge tragen müssen.

Es ist unvermeidlich, dass wir auch noch auf Ihr Alter zu sprechen kommen. Meistens sind Exekutivpolitiker an einem Punkt, wo das Amt nach einer weitgehend abgeschlossenen ­Lebensplanung noch das Tüpfelchen auf dem i ist. Bei Ihnen ist es genau umgekehrt. Wie passen ihr Amt und Ihre Lebensplanung zusammen?

(lacht) Erstens einmal war das Amt nie Teil der Lebensplanung. Zumindest bis zu dem Moment, da mein Vorgänger entschied, nicht mehr anzutreten. Ernsthaft hatte ich bis dahin noch gar nicht darüber nachgedacht. Doch in dem Moment fragte ich mich, was ­Davos nun gebrauchen könnte und ob ich diesen Beitrag leisten kann. So geht es mir auch für die weitere Lebens­planung. Ich glaube, es macht überhaupt keinen Sinn, sich irgendwie Gedanken zu machen, darüber, was nachher wäre. Erstens einmal gilt es, in zwei Jahren zu entscheiden, ob ich auch dann noch zum Entschluss komme, von dem ich heute überzeugt bin; nämlich, dass ich das Amt gerne weitere vier ­Jahre machen würde. Dann gilt es ­natürlich, eine Wahl zu bestreiten. Und dasselbe Prozedere ginge dann nach weiteren vier Jahren los.

Höre ich hier heraus, dass Sie sich durchaus vorstellen könnten, das Amt des Landammanns zwölf Jahre lang auszuüben?

Das kommt natürlich schon darauf an, ob wir mit dem eingeschlagenen Weg vorwärtskommen. Ich möchte nicht ein Amt, um eines zu haben. Es ist mir schon wichtig, dass wir Dinge bewegen können. Bis jetzt sind wir, meine ich, auf einem guten Weg und dann, ja, dann könnte ich es mir schon vorstellen. Aber eben: Ich finde es ein wenig vermessen, das jetzt schon wissen zu wollen. Für mich steht im Zentrum, schon mit Weitblick, aber im Hier und Jetzt dafür zu arbeiten, unsere Gemeinde durch gute Zusammenarbeit weiter zu bringen.

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