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«Es besteht die Aussicht, dass das neueJahr besser enden könnte, als es anfängt»

Der Spitalarzt und Internist Walter Kistler ist als Leiter des Pandemiestabs in Davos so etwas wie Mr. Corona geworden. Da er auch als Mannschaftsarzt des HCD tätig ist, entging er dem dortigen Ausbruch nicht. Im schriftlich geführten Interview mit der DZ spricht er über aktuelle Massnahmen und Hoffnung für die Zukunft.

Barbara
Gassler
31.12.21 - 08:57 Uhr
Leben & Freizeit
Walter Kistler in seiner Funktion als Arzt am Spital Davos.
Walter Kistler in seiner Funktion als Arzt am Spital Davos.
zVg

DZ: Walter Kistler, nach zwei Jahren Covid-19-Pandemie hat es Sie nun auch erwischt. Wie geht es Ihnen?

Walter Kistler: Vielen Dank, ich habe glücklicherweise nur milde Symptome, fühle mich erkältet, eine laufende Nase und «nicht ganz hundert», so wie man eine Grippe verspürt.

Sie sind zweifach geimpft und haben auch eine Auffrischimpfung erhalten. Dennoch wurden Sie positiv getestet. Wie kann man da noch an einen Impfschutz glauben? Immerhin geht es den meisten jetzt Erkrankten so wie Ihnen.

Wir wissen, dass bei der Omikron-­Variante die Immunantwort nach einer Impfung schlechter wirkt als gegen die früheren Mutationen wie etwa Delta. Dennoch bietet die Impfung und gerade auch die kürzlich nochmals erfolgte Auffrischimpfung (Booster) den besseren Schutz, als wenn man komplett ungeimpft wäre, respektive die letzte Impfung länger als sechs Monate zurück liegt. Das Omikron-Virus ist sehr viel infektiöser als die bisherigen Covid-19-Viren, so dass der Impfschutz zwar nicht die Übertragung vollständig verhindern kann, er bietet aber einen Schutz vor Hospitalisierung und komplizierten Verläufen mit künstlicher Beatmung auf der Intensivstation.

Nun wird getestet was das Zeug hält. In den zusätzlichen Testzentren allerdings nur mit Schnelltests. Diese sind bekanntermassen nicht sehr zuverlässig. Was soll das also bringen? Wähnt man sich da nicht einfach in falscher Sicherheit?

Es ist richtig, dass Schnelltests als Screening-Untersuchung bei Personen ohne Symptomen keine hundertprozentige Sicherheit bieten. Andererseits sind die Resultate innerhalb einer Viertelstunde da, und bei einem positiven Resultat können sofort Isolations- und Quarantänemassnahmen erfolgen. Es geht nicht darum, die verschiedenen Tests und Massnahmen in ihrer Wirksamkeit gegeneinander ausspielen, sondern die verschiedenen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, richtig und gezielt einzusetzen, um möglichst rasch und effektiv Gegenmassnahmen einzuleiten und irgendwie die Kontrolle zu behalten. Und natürlich darf man sich mit Symptomen und negativem Schnelltest nicht in einer falschen Sicherheit wiegen, hier ist die Kontrolle durch einen PCR-Test angezeigt.

Erschwerend sind auch die Wartezeiten beim PCR-Test. Aktuell geht auch die ganz gewöhnliche Erkältungen und die Grippe um. Muss nun jeder mit einer laufenden Nase oder Husten zum Test und während der Wartezeit zuhause bleiben? Das ist kaum praktikabel.

Wir haben die Wartezeiten bereits erheblich verkürzt und die Testkapazitäten hochgefahren. Bei den PCR-Tests handelt es sich um hochkomplizierte Verfahren, die weiterhin nur in spezialisierten Labors durchgeführt werden können. Dennoch erhalten wir die Resultate mit dreimaligen Kurierfahrten täglich meist bereits am gleichen Tag oder am Tag darauf. Wir haben aber aktuell derart grosse Infektionszahlen mit einem Infektionsnachweis von bis zu zwanzig Prozent der Proben, sodass wirklich allen mit Grippe-Symptomen die Testung empfohlen wird.

Die Omikron-Variante ist gegenwärtig in aller Munde und offensichtlich auch Körpern. Reihenweise werden Menschen positiv getestet und fallen für mindestens zehn Tage aus. Wie lange können wir uns das leisten? Wären Sie nicht auch lieber draussen an der Front?

Das ist schon richtig, andererseits bin ich aktuell auch ein Infektionsrisiko für Patienten. Obwohl ich bisher alle Schutzvorkehrungen im Umgang mit Infizierten beachtet habe, hat es mich dennoch erwischt, und jetzt muss ich darauf achten, das Virus nicht an Gefährdete weiter zu geben. Andererseits sind nun aber auch viele geimpft, so dass diese Welle für sie weit weniger dramatisch ablaufen dürfte. Das Virus wird zwar als weniger gefährlich als die Delta-Variante eingestuft, hat aber noch immer das Potential früherer Mutationen wie etwa der Alpha-Variante, die uns damals einen Lock-down beschert hatte. Natürlich stellt sich immer wieder die Frage nach der Verhältnismässigkeit dieser Massnahmen, die sich allerdings dann in der Spital- und Intensivbettenkapazität bemisst. Gerade in dieser Hinsicht haben wir grössere Probleme, da das Spitalpersonal bereits seit langem überlastet und müde ist und viele Abgänge zu verzeichnen hatte.

Inzwischen sind wir wohl alle zu kleinen Corona-Experten geworden, verstehen vieles aber doch nicht richtig. Was ist genau der Unterschied zwischen Isolation und Quarantäne?

Isolation wird für Patienten mit einem positiven Virusnachweis verwendet, die also krank sind. Der Begriff der Quarantäne stammt noch aus dem Mittelalter, als ankommende Schiffe in Venedig vierzig Tage vor dem Hafen warten mussten, um sicherzugehen, dass sie keine Pest mit sich bringen. Es handelt sich also um eine vorsorgliche Massnahme bei Gesunden, die aber engen Kontakt mit einer infizierter Person hatten.

Die Fallkurve zeigt nur noch steil nach oben. Auch in Davos. Wie sieht die Situation am Spital aus?

Die Situation im Spital Davos ist aktuell mit zwei Corona-Patienten auf den ersten Blick nicht dramatisch. Da wir allerdings Patienten für eine voraussichtlich länger dauernde künstliche Beatmung in ein Zentrumsspital mit Intensivstation verlegen müssen, ist diesbezüglich die kantonale Lage wichtiger. Die Situation in der Intensivstation des Kantonsspitals Graubünden in Chur ist aktuell sehr angespannt, die Intensivplätze sind zu mehr als der Hälfte mit Covid-Patienten belegt.

Würden Sie sich als Arzt einen Lockdown wünschen?

Niemand wünscht sich einen Lockdown, dies wäre ja das letzte Mittel, falls sich die Situation nicht anderweitig beherrschen lässt. Es stellt sich die Frage, ob wir mit der bisherigen Strategie von Impfungen, Testungen und Schutzmassnahmen der Lage Herr werden, und darum lohnen sich auch alle diese Anstrengungen, um einen Lockdown abzuwenden.

Nach zwei Jahren Corona haben alle so richtig die Nase voll. Gibt es einen ­Silberstreifen am Horizont?

Wenn sich mit Omikron ein Virus ausbreitet, das viel infektiöser und gerade für Geimpfte weniger gefährlich ist als die bisherigen Varianten sowie diese zu verdrängen vermag, besteht durchaus die Chance, dass sich Covid-19 auf das Niveau einer «normalen Grippe» reduzieren lässt. Bei der aktuell angespannten Situation mit erneuten Absagen von Grossanlässen wie Spengler Cup und WEF hätten wir an der Schwelle zum Neuen Jahr doch die Aussicht, dass dieses besser enden könnte, als es angefangen hat.

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