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Routineantworten

23.01.20 - 10:21 Uhr
KEYSTONE
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Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Jan Zürcher* über Frage-Antwort-Spielchen und ein «Phrasenschwein»

Matchinterview: «Wieso hat es heute nicht zum Sieg gereicht?» – «Das andere Team hat ein Tor mehr geschossen.» Korrekt.
«Sie haben heute drei Tore erzielt – Gratulation! Da muss sich der Sieg ja besonders schön anfühlen, oder?» – «Ich bin vor allem froh, dass wir als Team gut funktionierten und das Spiel gewonnen haben. Jetzt konzentrieren wir uns auf morgen, da wollen wir wieder drei Punkte einfahren. Wir nehmen schliesslich Spiel für Spiel.» Auch das, korrekt.

Und doch bleibt der (Sport-)Zuschauer nach derartigen Frage-Antwort-Spielchen oft verblüfft zurück, die Augen verdrehend und möglicherweise sogar leicht verärgert. Es sind zwei dieser Routineantworten, die niemand hören will, weil sie wohl nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Von professionellen «Flunkerern» (die Sportler) war in einer Schweizer Tageszeitung einmal die Rede. Ob gelogen oder einfach nur professionell geantwortet, «08/15-Antworten» erhitzen die Gemüter, bleiben oft länger in den Köpfen als das Spiel selbst, sind gängige Gesprächsgrundlagen an Stammtischen und gefundenes Fressen für den nörgelnden Fernsehzuschauer. Doch solche Antworten gehören längst zum Sport dazu, wie das Abseits im Fussball und das Amen in der Kirche. Der heimliche Star der deutschen Fussball-Talkshow «Doppelpass» ist dann weder das deutsche Enfant terrible Mario Basler, noch sonst eine illustre Fussballpersönlichkeit, sondern ein Vierbeiner mit Mütze und Shirt – das Phrasenschwein. Wenn es Gäste aufs Phrasendreschen angelegt haben, wird das Schweinchen mit einem Geldbetrag gefüttert.

Ich frage mich, wie es zu solchen Routineantworten kommt. Liegt es an meiner Fragestellung als Journalist, den Medientrainings für Sportler oder ist es ganz einfach von der Situation verschuldet? Direkt nach dem Spiel, die Emotionen noch nicht verarbeitet, die rationalen (und wohl auch ausführlicheren) Erklärungsansätze einfach noch nicht reif? Nach einer misslungenen Schulprüfung konnte ich mir die Lösung der Teilaufgabe 5c jedenfalls auch nicht zusammenreimen, und was ich in diesem Moment am allerwenigsten brauchen konnte, war die Frage: «Wieso hat es mit der Teilaufgabe 5c nicht geklappt?» Zugegebenermassen, Interviews gehören zum Job des Spitzensportlers dazu, it’s part of the game! Aber erwarten sollte und darf man in einem Matchinterview nicht allzu viel.

Was mich so denken lässt? Ich kenne auch die andere Seite, wenn Sportler plötzlich «auftauen», aus dem Nähkästchen plaudern und mir als Journalist geben, was ich hören möchte – und noch mehr. Seit dem Sommer 2019 darf ich, zusammen mit meiner Kollegin, das neue Sportformat «Usfahrt Sport» auf TV Südostschweiz moderieren. Eine 30-minütige Gesprächssendung, in der wir den Menschen «hinter dem Sportler» kennenlernen dürfen. Olympiasieger, Weltmeister, Nationalmannschafts-Headcoaches, grosse Funktionäre und Sportjournalisten begrüssten wir bereits in unserem Auto für eine Ausfahrt. Aber eben auch den Hobbykoch, den Japan-Fan oder den Langschläfer. Und das sind dieselben Personen. Es bestätigt sich, was ich mir schon lange gedacht habe: Gute Gespräche brauchen Zeit, Interesse und Aufmerksamkeit, auch im Sport. Und diese «professionellen Flunkerer», sie schummeln nicht während des Pauseninterviews, sie kürzen lediglich ab, und das sehr gekonnt.

Jan Zürcher ist Sportredaktor bei TV Südostschweiz

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