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Verstecken spielen für Grosse

Roman
Michel
05.03.20 - 08:58 Uhr
KEYSTONE
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Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Roman Michel* über Spionage im Sport

Die Basler haben – wenn nicht gerade ein Virus umgeht – ihre «Drey scheenschte Dääg». Die St. Galler haben jeden Herbst ihre Olma. Und die Eishockeyfans haben (hoffentlich auch dieses Jahr noch) ihre Play-offs. 
Play-off-Zeit. Das ist die Zeit der langen Bärte. Die Zeit der Floskeln («Wir müssen Spiel für Spiel nehmen», «Wir schauen nur auf uns, nicht auf den Gegner»). Aber auch die Zeit des Versteckenspielens. Die während Monaten fein säuberlich geführten Medizin-Bulletins der Klubs verschwinden von deren Websites. Fragt man bei den Medienverantwortlichen nach Gründen für die verletzungsbedingte Absenz eines Spielers, gibt es eigentlich nur zwei Antworten: «Lower Body» oder «Upper Body». Wobei beide Begriffe viel Raum für Interpretationen lassen, kann doch eine «Upper-Body-Verletzung» von der Hirnerschütterung bis zum verstauchten kleinen Finger so ziemlich alles sein. 

Der HC Lugano ging dieses Jahr noch einen Schritt weiter in Sachen Versteckenspielen. Anfang Februar gab der Klub per Communiqué bekannt, dass ab dem 18. Februar nur noch hinter verschlossenen Türen trainiert würde. «Tutti gli allenamenti», alle Trainingseinheiten. «Warm-up inclusi». Corona-Angst? Nein, die Massnahme erlaube den Spielern und dem Staff, in Ruhe zu arbeiten. 

Verstecken spielen im Sport ist nichts Neues. Erst im Januar beschuldigte Skicrack Mikaela Shiffrin den Trainer ihrer Rivalin Petra Vlhova, weil dieser die Trainingseinheiten sowie Abläufe im Betreuerstab der Amerikanerin filmen würde. Der Boulevard schrieb vom «Spionage-Skandal». Und Shiffrin erklärte: «Was ich mit meinen Ski mache, sehe ich als mein eigenes Hab und Gut. Ich habe es in meinen Gedanken kreiert und dann körperlich in die Welt gesetzt.» Das Training als geistiges Eigentum. 

Im Dezember 2018 schaltete der Fussball-Bundesligist Hoffenheim die Polizei ein, weil beim Abschlusstraining für das Meisterschaftsspiel gegen Werder Bremen eine Drohne über den Trainingsplatz geflogen war. Drei Tage später gaben die Bremer zu, für den Vorfall verantwortlich gewesen zu sein. «Ein Scout hat vor Ort versucht, Informationen einzuholen.» Dabei hatte Hoffenheim gar nichts zu verstecken. «Mir ist egal, ob da einer hinter dem Baum sitzt oder eine Drohne fliegen lässt», sagte der damalige Hoffenheim-Akteur Nico Schulz. Beim Bundesligisten werden die Trainingseinheiten also nicht als geistiges Eigentum angesehen.
Drohne, heimliche Filmaufnahmen, Mitarbeiter, die sich ins Training schleichen. Wieso dieser Aufwand, fragte sich vielleicht José Mourinho zu Beginn des Jahres. Beim Premier-League-Spiel gegen Southampton verliess der Tottenham-Trainer plötzlich seine Coaching-Zone, lief auf die Bank des Gegners, baute sich vor Southamptons Trainer auf und schaute demonstrativ in dessen Notizblock. Immerhin entschuldigte sich Mourinho später für seine Aktion: «Ich war unhöflich. Aber ich war unhöflich zu einem Idioten.» Übrigens: Für den Einblick ins geistige Eigentum des Gegners gab es Gelb. 

Aber zurück zum Eishockey. Zurück nach Lugano. Sind die Einheiten auch hier geistiges Eigentum? Antwort unklar. Fakt ist aber: Wirklich gutgetan hat die Ruhe den Tessinern nicht. Drei von vier Spielen haben sie seit dem 18. Februar verloren. Verstecken spielen ist wohl nichts für Grosse. 

Roman Michel ist stellvertretender Leiter Sport

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