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Johannes
Kaufmann
24.06.21 - 04:30 Uhr
BRITAIN SOCCER UEFA EURO 2020
epa09294551 Raheem Sterling (L) of England goes for a header to score the opening goal during the UEFA EURO 2020 group D preliminary round soccer match between the Czech Republic and England in London, Britain, 22 June 2021. EPA/Andy Rain / POOL (RESTRIC
Keystone-sda/Symbolbild

Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Johannes Kaufmann* über die paneuropäische Fussball-EM in Pandemie-Zeiten.

Als Michel Platini vor einer Dekade als Chef-Dompteur des europäischen Fussballverbandes Uefa mit der Idee einer Europameisterschaft zum 60-Jahre-Jubiläum der Veranstaltung verteilt auf den Kontinent in 13 Städten hausieren ging, tat der Franzose dies auf den ersten Blick betrachtet mit einer visionären Idee. Selbstverständlich blieb bei einer genaueren Betrachtung das Kalkül dahinter nicht verborgen. Weil das auf 24 Teilnehmer aufgeblähte Endturnier nur für ein eine Handvoll grössere Nationen wirklich durchführbar ist, standen bei der Vergabe die potenziellen Ausrichter für die 16. Edition 2020 ohnehin nicht Schlange. Das auch aus der Not geborene paneuropäische Turnier avancierte zur einmaligen Möglichkeit für die kleineren Länder, als Spielort temporär im Konzert der Grossen mitzumischen. Die aus der Uefa-Zentrale in Nyon mit EM-Partien beglückten «Kleinen» würden dies bei der nächsten Wahl des Uefa- respektive Fifa-Präsidenten bestimmt nicht vergessen.

Nun läuft sie also mit einjähriger Verspätung, die bahnbrechende paneuropäische Fussball-EM. Und ja, sie ist wirklich anders als ihre Vorgänger. Allerdings verläuft die EM nun definitiv nicht so, wie ihr Chefarchitekt sie sich einst vorgestellt hatte. Frankreichs Fussball-Napoleon Platini ist nach einigen sanktionierten Ungereimtheiten schon vor Jahren zusammen mit seinem früheren Mentor Joseph S. Blatter unsanft vom Sockel gepurzelt. Platini erlebt seine Idee weder als Uefa- noch als Fifa-Präsident auf der Ehrentribüne, sondern irgendwo schmollend im Abseits. Die Ausrichtung eines Turniers in Pandemie-Zeiten bleibt für seine Erben ein Balanceakt. Ergibt es Sinn, dass in Ungarn im Land des autokratisch herrschenden Fussball-Fanatikers Viktor Orban in einem vollen Stadion gespielt wird, während anderswo die Auslastung bloss 25 Prozent beträgt? Nun droht wegen der neuen Delta-Variante des Coronavirus London der Entzug der finalen Endrundenpartien. Budapest würde gerne einspringen und den wirklich wichtigen Persönlichkeiten jederzeit freies Geleit garantieren.

Ich pflege mich seriös auf grosse Fussball-Turniere vorzubereiten. Die anstehende EM war mir indes noch eine Woche vor dem Start irgendwie wirklich egal. Erst spät, zunächst ein bisschen widerwillig und unmittelbar vor Turnierbeginn nahm ich doch noch wie gehabt das «Kicker-Sonderheft», das Nonplusultra unter den zahlreichen Presseerzeugnissen vor einem grossen Turnier, zur Hand. Nach zwei Wochen paneuropäischer Fussballveranstaltung überwiegen indes die positiven Eindrücke. Die Rückkehr der Zuschauer ins Stadion ist ein Segen. Das traurige Gekicke vor leeren Rängen mit dem unsäglichen Geschreie der Protagonisten auf dem Rasen war unerträglich. Eine allgemeine, wohlwollende Demut bleibt derweil spürbar. Das in der Vergangenheit total überladene, marktschreierische Gehabe während eines grossen Turniers vermisse ich nicht wirklich. Die aufgeregten TV-Schaltungen ans Public Viewing in der Stadt X dürfen gerne ebenso auch in Zukunft unterlassen werden. Ihren Beitrag zu einer auf Normalmass reduzierten Fussballveranstaltung leisten auch die TV-Stationen. Sachlich wird primär über das Spiel an sich debattiert. Ein lobenswerter Ansatz, denn eine Fussball-Europameisterschaft wird auch in Zukunft die Welt kein bisschen verbessern können.

* Johannes Kaufmann ist Sportredaktor

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