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All die letzten Male

Oliver
Fischer
13.03.20 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Werden zwei Menschen Eltern, beginnt für sie eine Jahr(zehnt)e lange Zeit der ersten Male. Auf manche freut man sich – das erst Wort, die ersten Schritte – auf andere könnte man verzichten – das erste Mal beim Wickeln vollgekackt zu werden ist wirklich in jeder erdenklichen Art beschissen. Über die schönen und weniger schönen Ersten Male habe ich im Herbst einmal geschrieben.

Aber wo es viel Neues gibt, da verschwindet auch immer einmal wieder etwas. Und während man sich an viele Erste Male auch Jahre später noch ziemlich gut erinnern kann, realisiert man bei den Letzten Malen oft erst viel später, dass man dieses oder jenes ja schon lange nicht (nie) mehr gemacht hat. Wann genau das letzte Mal in den Schlaf singen oder das letzte Mal Baby-Brei essen war, das fällt uns viel schwerer zu rekonstruieren. Ich habe einmal versucht, mir einige Letzte Male – schöne und traurige – in Erinnerung zu rufen.

Weil ichs gerade erwähnt habe: In den Schlaf singen, oder zumindest fast. Als wir vor einigen Jahren eine Phase mit dem Kind hatten, als es auf keinen Fall alleine in seinem Zimmer liegen und einschlafen wollte, haben wir den ganzen zu-Bett-geh-Prozess zu einem langen Ritual gemacht. Den Abschluss bildete das Singen und danach aus dem Zimmer gehen, auch wenn das Kind noch nicht ganz eingeschlafen sein sollte. Nach kurzer Zeit schon klappte das ganz gut. Dabei etablierte sich auch ein fünfteiliges Liederprogramm, das auf keinen Fall(!!!!!) abgeändert werden durfte. Tja, damit ist Schluss. Und zwar seit letztem Oktober als das Kind rund eine Woche mit einer Bronchitis im Spital lag und dort das Singen vor dem Einschlafen nicht möglich war – Mehrbett-Zimmer. Und als wir danach wieder daheim waren, hatte sich das Singen fürs Kind erledigt. Dass ich an einem Sonntagabend im Oktober 2019 das letzte Mal jenes Programm zum Besten gab, stimmt mich heute schon ein bisschen wehmütig.

Das letzte Mal eine stinkende Windel zu wechseln, daran kann ich mich nur noch vage erinnern. Es ist auch schon ziemlich lange her. Irgendwann im Sommer 2018 beschloss Kind nämlich, dass es jetzt Zeit sei, aufs WC zu gehen. Entschluss gefasst, umgesetzt und nie wieder in eine Windel gekackt – so geht das. Ein letztes Mal, das ich längst verdrängt habe.

Letzte Male, die einem wohl immer erst viel später wirklich bewusst werden, kommen mit der Sprachentwicklung. Wann zum Beispiel aus dem Samali der Salami oder aus Lilli der Gorilla geworden ist, wie könnte ich das noch sagen? Und wenn ich mir vorstelle, dass das Kind irgendwann einmal nicht mehr «Gopfritattelli amol» schimpft wird mir ganz schwer ums Herz.

Ein grosses letztes Mal haben Kind und ich am letzten Samstag zelebriert. Ich habe früher schon von unseren Samstagmorgen-Spaziergängen durch die mehr oder weniger leeren Gassen der Churer Altstadt erzählt. Letzten Samstag haben wir diesen Spaziergang zum letzten Mal gemacht. Denn am Samstagmorgen morgen werden wir zwar wieder einen Spaziergang machen, aber nicht mehr in Chur. Während Ihr diese Zeilen am Freitag, dem 13. März lest, stecken wir mit einem riesigen Zügelkonvoi irgendwo zwischen Chur und Winterthur. Dorthin zieht es uns, und dort werden Kind und ich morgen zum allerersten Mal unseren Samstagmorgen-Spaziergang unternehmen – und uns daran machen neue Strassen, Gassen, Plätze und Parks zu erspazieren. Maisbrötli und Kafi inklusive.

Und wer sich jetzt fragt, ob sich dieses Letzte Mal auch auf meine Papa-Blogs bezieht – Nein, tut es nicht. Ich werde auch weiterhin alle zwei Wochen an dieser Stelle Anekdoten, Erlebnisse und manchmal Politisches von mir geben.

Also, bis am 27. März.

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