×

Mama kann nicht immer die Coole sein

Bedürfnisorientierte Erziehung. Ich frag mich oft, wessen Bedürfnisse dabei gemeint sind?

Kristina
Schmid
09.07.21 - 04:30 Uhr
Bild Pixabay

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Bedürfnisorientierte Erziehung.

Ich frag mich oft, wessen Bedürfnisse dabei gemeint sind? Meine? Mich auf das Sofa legen, nichts tun und so lange schlafen, bis meine Augen von ganz alleine wieder aufgehen? Die von meinem älteren Sohn, der gerne aus dem Wohnzimmer einen Abenteuerspielplatz macht? Oder vielleicht doch die Bedürfnisse meines jüngeren Sohnes, der zurzeit testen will, wie das Leben so schmeckt. Und mit Leben meine ich Laubblätter und Äste. Recht kann man es eh keinem machen. Bei zwei Kinder liegt die Unzufriedenheitsquote bei gut 50 Prozent. Ich werde dieses Gefühl nicht los, mich als Mutter offensichtlich für die Bedürfnisse von einem Kind entscheiden zu müssen und damit zu leben, dass das andere Kind mir die Entscheidung auf Lebzeiten übel nehmen wird.

Es ist aber auch wie verhext. Zumindest bei meinen Jungs. Jeder will immer genau das haben, was gerade der andere hat. Das ist doch nicht möglich. Ich meine, ich habe ein neun Monate altes Baby, siebasiacha. Wie kann es sein, dass ein Baby nicht einfach jede Holzeisenbahn-Schiene freudig in die Händchen nimmt, die man ihm reicht? Nein, es versucht, genau jene Schienen zu fassen, auf denen gerade sein grosser Bruder mit dem Brio-Zug fährt. Und schafft man es endlich, das Baby mit einem Ball abzulenken, damit der grosse Bruder in Ruhe «Zügli» fahren kann, dann will der grosse Bruder lieber auch mit dem Ball spielen.

Toll.

Ich hab mir das in meinem Kopf irgendwie anders ausgemalt. Zwei süsse Jungs in zwei noch viel süsseren Hemdchen, die in ihren Zimmern miteinander spielen. Denn Ball hin- und herrollen. Die Züge über die Briobahn-Schienen schieben. Lego-Burgen bauen.

Ja ja, die Mythen der Mutterschaft. Ich dachte auch einmal, wenn meine Kids malen oder puzzeln wollen, dann malen oder puzzeln sie – und ich schaue dabei Kaffee trinkend zu. Stellt sich raus – und jetzt haltet Euch fest – wenn mein Grosser malen oder puzzeln will, dann male oder puzzle ICH, und das Kind schaut zu.

Und hat Mama keine Lust dazu und sagt «Nein», folgt dem Entscheid gleich das schlechte Gewissen. Es ist schon lustig. Hinter jedem grossen Mann steht eine starke Frau, so sagt man. Aber hinter jedem grossartigen Kind steht eine Mutter, die sich sicher ist, alles falsch zu machen. Warum ist das eigentlich so? Wir machen alles. Mundgerecht gestutzte Apfelschnitze, nächtliche Wieder-Einschlafhilfen, Basteln, spielen und Velotouren. Und dennoch kommen die Zweifel, sobald die Motz-Mama auf Hochtouren gelaufen ist. Hör auf zu jammern, denke ich dann. Der Grosse will doch Verstecken spielen. Also sitze ich seit sieben Minuten in der Dusche und trinke Kaffee. Top Spiel. Gerne wieder. Kinder brauchen nicht viel, wir machen uns doch nur oft unnötigen Druck. Gesunde Küche, perfekte Geschenke, kreative Bastelideen, blitzblanke Wohnung…

Und plötzlich merke ich, dass mich gar keiner sucht. Ich Anfänger. Wäre ich lieber mal früher auf die Suche nach dem Kind gegangen. Unsere Gäste-Toilette ist nun um zehn Rollen Klopapier reicher.

Ich sags Euch: Eine gute Elternschaft liegt irgendwo zwischen: «Bitte lass das!» und «Ach, was solls.» In diesem Fall Ersteres, falls wir in den kommenden Tagen nicht aufgrund von Verstopfung auf unsere Gäste-Toilette verzichten wollen: «Nein!» Das Wort der Stunde.

Und spätestens nach drei Jahren weiss man als Mama, man kann nicht immer die Coole sein. Zwischen «Mama, ich liebe dich» und «Blöde Mama» liegt oft nur ein «Nein». Aber ganz ehrlich: Die Grenze zwischen «Oh, ich hab so ein süsses Kind» und «Ich gebe es zur Adoption frei» verläuft auch nur entlang der Filzstiftspur auf dem neuen Esszimmer-Holztisch.

Also dann:

«Gute Nacht Kinder, ich liebe Euch und freu mich auf morgen.»

«Sind wir dann nicht bei Nani und Neni?»

«Ja genau.»

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.