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Eine Brücke zu viel

Hans Peter
Danuser
20.10.20 - 04:30 Uhr
Umfahrungstunnel Silvaplana Engadin Oberengadin Tunnel Umfahrung
BILD ARCHIV
OLIVIA AEBLI-ITEM

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

«Wer Strassen sät, erntet Verkehr» war der Titel eines bemerkenswerten Interviews von Pesche Lebrument mit dem Bündner Verkehrsplaner Peter Hartmann im Tagblatt vom 7. Oktober 2020 auf Seite drei. Ich war mit Peter vor 60 Jahren an der Kanti Chur und habe ihn als aufgestellten Sportler mit dezidiert eigener Meinung in guter Erinnerung. Obwohl mittlerweile auch in Pension, ist Peter in Sachen Verkehr nach wie vor eine «Instanz» in Graubünden, die ihre Kompetenz und Berufserfahrung prägnant einbringt. So auch in diesem sehr lesenswerten Interview.

Beispiel 1: «In Graubünden wurden verschiedene grosse Verkehrsprojekte umgesetzt, etwa die Umfahrungen Klosters, Silvaplana, Flims, Roveredo und Landquart. Ist Graubünden gut bedient mit Umfahrungs- und Entlastungs-Projekten?»

Antwort: «Grundsätzlich ist der Kanton bestens erschlossen – abgesehen von Engpässen in einigen Dörfern, in denen noch Handlungsbedarf besteht. Ein Problem beim Strassenbau ist die Zweckbindung des Benzinzolls. Wir fahren viel, also zahlen wir viel Benzinzoll, und dieser ist grösstenteils für den Strassenbau vorgesehen.

Auf einen einfachen Nenner gebracht: Die Strasse hat zu viel Geld. Das zeigt sich auch an so manchen Plänen. Nehmen wir die geplante St. Luzibrücke – 70 Millionen Franken, damit ein paar Autofahrer weniger durch Chur fahren. Das ist Geld in den Beton gegossen. Aber es gäbe bestimmt eine schöne Brücke. Würde die Zweckbindung gelockert, könnte Geld auch für den öffentlichen Verkehr eingesetzt werden, dann wären die Strassen vielleicht nicht mehr ganz so perfekt, aber immer noch komfortabel.

Beispiel 2: «Auch ich sitze oft allein im Fahrzeug. Das Autoradio spielt meine Musik, niemand nervt mich, und es ist gut geheizt. Bin ich ein Egoist?»

Antwort: «Überhaupt nicht, ich vertrete die freie Verkehrsmittelwahl. Auch ich fahre schliesslich Auto. Dabei müsste aber die volle Kostenwahrheit zum Tragen kommen. Es ist erschreckend, wie kurz die Autofahrten sind. Jede sechste Autofahrt im Land ist kürzer als ein Kilometer, also Fussdistanz. Fast 30 Prozent der Fahrten sind kürzer als 2 Kilometer, also beste Velodistanz, und die Hälfte alle Fahrten ist kürzer als 5 Kilometer. Es wäre richtig, wenn jeder die volle Distanz bezahlen müsste, wenn er das Auto statt den Bus oder das Velo benutzt. Würde die volle Kostenwahrheit zum Tragen kommen, müsste der Liter Benzin zwischen vier und fünf Franken kosten.»

Das Thema interessiert mich nicht zuletzt auch wegen der aktuellen Situation im Oberengadin. Die Kantonsstrasse dem See entlang zwischen Silvaplana und Sils ist eine der meist befahrenen Strecken im Kanton, aber eng, kurvig und entsprechend gefährlich. «Chur» weiss das und hat jüngst Sanierungs-Vorschläge präsentiert, die die Situation trotz hoher Kosten langfristig nicht bereinigen, sondern allenfalls «verschlimmbessern».

Die Ideallösung und klarer Favorit der Talbevölkerung ist ein Tunnel, der aber 200 Millionen Franken kostet. Das ist viel für ein so abgelegenes Tal wie das Engadin. Da sind eine St. Luzibrücke, das Prättigau oder die Strecke Tiefencastel-Davos für die Entscheidungsträger in Chur doch wesentlich zentraler.

Dabei geht vergessen, dass der «Flaschenhals» am Silvaplanersee für das Tal eine wirtschaftliche Schlagader ist, die nicht nur in der Hochsaison bei gut 100'000 Menschen, sondern das ganze Jahr hindurch den Puls bestimmt. Die täglichen Pendler zwischen dem Engadin, Bergell und Italien arbeiten in der regionalen Hotellerie, bei den Bergbahnen, in den Kliniken, Arztpraxen, im Spital ...

Und das durch einen Tunnel frei gewordene Trassee der heutigen Strasse wäre eine touristische Attraktion für Langläufer, Fussgänger, Radfahrer – eben und direkt dem Wasser entlang. Es diente auch der Sicherung wichtiger Anlässe wie dem Engadin Skimarathon, falls das Eis auf dem Silvaplanersee zu spät gefriert oder zu früh schmilzt (Klimaerwärmung).

Wie Peter Hartman oben erwähnt, ist das Geld da, aber es hapert an der Relevanz für die «Zentrale» in Chur.

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Lieber Herr Danuser, in Ihrem Beitrag heben Sie die Rivalität Zentrum-Peripherie hervor, die in Graubünden äusserst ausgeprägt ist. Zentrum ist Chur und das Churer Rheintal und der ganze Rest muss sich mit der Rolle der Peripherie abgeben. Um diese Rivalität kommt kein Land der Welt herum. Die politische Kunstfertigkeit besteht darin, aus einem Zentrum mehrere kleinere zu machen. Das wäre eigentlich auch im Sinne der Raumplanung der kantonalen Regierung. Doch wenn es darum geht, Worten in Taten umzusetzen... Ich unterstütze Ihre Idee vom Tunnel.