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Selbstzerstörung? Oh, na, nie!

Single
Bock
17.02.21 - 16:30 Uhr

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Ihr habt es sicher mitbekommen. Vor ein paar Tagen hat ein übereifriger Vikar aus dem Raum Zürich einen Clip ins Internet geladen, in dem er behauptet, Selbstbefriedigung sei Sünde und Selbstzerstörung. Das hat mich dazu bewogen, meine ganz persönliche Gegendarstellung zu formulieren - eine Ode an die Onanie sozusagen.

Die Stossrichtung des Vikars: Onanie ist böse und Betrug am künftigen Ehepartner. Selbstbefriedigung als Sünde. Das Konzept ist uralt. Früher hat man jungen Männern erzählt, dass ihnen Haare an den Handinnenflächen wachsen würden, wenn sie sich selbst befriedigten. Wäre dem so, etwas wie einen Kamm oder eine Haarbürste hätte es nie gegeben.

Seien wir ehrlich: Wir tun es doch alle - und es ist toll. Frei nach dem Johannesevangelium: «Wer ohne körperliche Selbstliebe ist, poste den ersten Youtubeclip». Es ist wunderbar, dass wir irgendwann in der Pubertät - oder gar früher - anfangen, uns selbst und unseren Körper kennenzulernen. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns die Selbstliebe zu besseren Liebhabern macht. Wie soll man jemand anderem im Bett Freude bereiten, wenn man nicht gelernt hat, sich selbst – auch körperlich – zu lieben.

Die «Fakten», die uns der Geistliche liefert, sagen etwas anderes. Er spricht davon, dass sich jeder dritte Mann und jede zehnte Frau regelmässig selbst befriedigen. Gleichzeitig sagt er, dass jede zweite Suche im Internet mit Pornografie zu tun hat. Da suchen offenbar einige User pornografischen Inhalt, rein zu Studienzwecken und nicht zur Unterstützung bei der Selbstliebe. Woher der Vikar diese Zahlen hat? Man weiss es auch nach dem gut elf Minuten langen Clip nicht. Was man danach weiss: Dieser Mann ist davon überzeugt, dass Sex nur etwas ist, das in der heiligen Ehe stattfinden darf.

Spannend ist, dass uns einer von der richtigen und wahren Sexualität erzählen will, dem es sein Amt verbietet, Sex zu haben. Er darf nicht heiraten. Er kann sich also – sofern er seinen derzeitigen Job behalten will – nicht in die Lage bringen, sakral-legal Geschlechtsverkehr zu haben. Dass er selbst Hand anlegt, lässt sich nach seinen Ausführungen bezweifeln. Obwohl ich das dem guten Mann auch nicht ganz abnehme.

Klar, wir leben in einer stark sexualisierten Welt. Sexuelle Gewalt ist ein grosses Übel, dem mit aller Konsequenz entgegengewirkt werden muss. Ob das Verteufeln und Leugnen der eigenen Triebe der richtige Weg ist? Ich bezweifle es.

Kurz zusammengefasst: Ich sehe überhaupt kein Problem darin, wenn wir hin und wieder bei uns selbst Hand anlegen. Sexualität – auch die mit sich selbst – gehört zu uns. Ich tue es, die meisten von Euch tun es sicherlich auch und das ist auch gut so. Egal, ob man Single ist oder nicht. Ich lass mir das nicht von den mittelalterlichen Einsichten eines Zürcher Vikars madig reden. Wie Gott dazu steht, wird er uns wohl bei der Ankunft an der Himmelspforte wissen lassen, so wir dann danach fragen. Bis dahin höre ich auf meinen Körper und meine Bedürfnisse und sehe zu, dass ich beim Ausleben meiner Sexualität niemandem Schaden zufüge. Das solltet Ihr auch tun.

In diesem Sinne: high-five your genitals und passt auf Euch auf.

Euer Singlebock

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