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Nicht immer freuen die Würmer ihre Züchter

Andrea
Masüger
24.08.19 - 04:30 Uhr
KEYSTONE
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In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Ein wurmstichiger Apfel hat diese Woche die Schweiz in Atem gehalten. Was ist passiert?

Man darf die SVP nicht überschätzen. Sie hat bloss das getan, was sie immer tut. Konservativ und bodenständig wie sie ist, hat sie auf ihre über 20-jährige Tradition in Sachen Wahlplakate aufgebaut. Man erinnert sich dunkel: Im Jahre 1998 waren es die fremden Messerstecher, die unsere Frauen bedrohten. Später die Särge der Soldaten, die aus dem Kosovo zurückkamen. Dann die schwarzen Ausländer-Schafe, die den lichten helvetischen Schäfchen das Land streitig machten. Bald die braunen Hände, die nach dem Schweizerpass griffen. Undsoweiter.

Man hat diese Plakate alle an den Bahnhöfen gesehen, als man noch im Raucherabteil des Einheitswagens III der SBB durch Helvetien fuhr. Auch den Slogan von den «Linken und Netten», denen es nun an den Kragen gehen soll, haben schon unsere Grosseltern gekannt. Die SVP ist kampagnenmässig im letzten Jahrhundert stehengeblieben. Ein Wunder, dass sie bei der Plakatgestaltung nicht Schwarzweissfotos verwendet, sondern bereits zu Farbe gewechselt hat.

Der Apfel, der von Mehlwürmern in Form der Nicht-SVP-Parteien und der EU befallen wird, ist also nur die Fortsetzung einer alten Geschichte. Im Grunde genommen ist das Motiv sogar noch viel älter als alle anderen, denn es geht auf eine Idee der Nazis zurück, die schon 1931 einen Apfel zeichneten, aus dem jüdische Würmer kriechen. Leider wusste dies der Fraktionschef der SVP nicht, wie er im Fernsehen bekannte. Das ist natürlich eine unhaltbare Wissenslücke angesichts des Traditions-bewusstseins dieser Partei!

Wie kann es also sein, dass die halbe Schweiz auf eine solche Mottenkisten-Kampagne so sensibel, so genervt, so echauffiert reagiert? Wer, ausser ein paar Gesundheitspolitikern, würde sich aufregen, wenn plötzlich wieder der ins Abendrot blickende Marlboro-Mann an den Plakatwänden kleben würde? Wieso schafft es ausgerechnet die SVP mit dem ewig Gleichen stets neue Empörungswellen auszulösen?

Wie wissen es nicht. Klar ist nur, dass die Partei zu ihrer alten Stärke zurückgefunden hat. Nachdem ihr alle Polit-auguren eine klimapolitische Beule für die Wahlen vom Oktober prophezeit haben und ihre ansonsten bewirtschafteten Themen ein bisschen aus der Zeit gerückt scheinen, steht sie nun unvermittelt wieder im Mittelpunkt des Interesses. Die SVP hat die Gabe, zum richtigen Zeitpunkt den roten Knopf zu drücken, und flugs ist die Schweiz im Alarm-Modus. Man redet dann nicht über (mangelnde) Inhalte, sondern bloss um Form und Stil.

Der Partei kann das egal sein, die Hauptsache ist ja, dass sie im Mittelpunkt steht. Mit Aufmerksamkeit allein gewinnt man freilich keine Wahlen. Man erfreut vielleicht die Klientel, die man ohnehin auf sicher hat, was schliesslich aber nutzlos bleiben wird.

Diese wurmige Sache könnte aber einen anderen, ungewollten Effekt haben: Anders als bei früheren Kampagnen dieses Stils haben sich jetzt auch wichtige Parteiexponenten plötzlich öffentlich davon distanziert. Sie finden diese total daneben und sind angewidert. Das ist eine überraschende Entwicklung. Die Provokation hat offenbar ein gewisses Mass überschritten. Überdies hat sich in der Partei in den letzten Monaten wegen der Klimafrage eine Bruchlinie gebildet. Der Knatsch in der Zürcher Kantonalsektion hat sich an der Klimaerwärmung entzündet, wo die offizielle Parteihaltung vielen Mitgliedern zu radikal ist, namentlich den Bauern. Sie erwarten Antworten auf viele Fragen und ernten nur Spott. Dieser «weichere» Teil der Partei wird an solchen Plakaten und Inseraten keine Freude haben, ja, diese werden ihn zusätzlich verunsichern.

Vielleicht ist die SVP dieses Mal einen Schritt zu weit gegangen. Wenn die Kampagne nicht nur keine neuen Wähler bringt, sondern im Gegenteil alte abzuhängen droht, ist sie definitiv gescheitert. So traditionell sie auch sein mag.

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