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Das Zürcher Zentralgestirn und seine Planeten

Andrea
Masüger
26.10.19 - 04:30 Uhr
ARCHIV

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Ist Roger Köppel staatspolitisch wichtiger als Géraldine Danuser? Köppel kandidierte im Kanton Zürich für den Ständerat. Er hält den Klimawandel für Unsinn und Greta Thunberg für ein verirrtes Mädchen. Danuser kandidierte im Kanton Graubünden für den Ständerat. Sie findet, die Klimajugend sei in der Politik zu wenig vertreten und brauche auch in der kleinen Kammer eine Stimme.

Es wäre ein Trugschluss zu meinen, Köppel sei in einem viel grösseren und daher auch bevölkerungsmässig bedeutenderen Kanton angetreten und Danuser bloss in einem Randgebiet. Im politischen System der Schweiz sind beide Kandidaturen und beide politische Anliegen gleichwertig und gleichberechtigt, weil es die Bundesverfassung so will. Im Ständerat hat jeder Kanton zwei Sitze, egal wie gross er ist. Damit wollten die Gründerväter ein Korrektiv der Stände und der kleineren Regionen gegenüber der Macht der Agglomerationen schaffen.

Trotzdem stand Köppel in den vergangenen Wochen im Zentrum der Nation – oder wenigstens in jenem der Deutschschweiz. Über ihn wurde permanent berichtet, vom Klingeln des Weckers bis zum Zücken der Zahnbürste. Mit ihm im Boot die anderen Zürcher Ständeratskandidaten. Man konnte meinen, dieser Daniel Jositsch sei der berühmteste Professor der Schweiz und Ruedi Noser ein halber Bundesrat. Für diese drei wurde am 20. September eigens eine «Arena» im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt. Diese Woche sorgte eine weitere TV-Sendung für Wirbel: der «Club» von SRF, zu dem nur Köppel eingeladen war, was einen beleidigten Noser zur Folge hatte.

Wieso gab es keine «Arena» und keinen «Club» für Géraldine Danuser und die Bündner Ständeratskandidaten? Oder über die Wahlen in die kleine Kammer in Glarus oder Uri? Die Antwort ist einfach: Diese Kantone stehen nicht im Zentrum des Medieninteresses. Dieses wird meist nach den einfachen Gleichungen «gross = wichtig» und «wichtig = interessant» definiert. Es war vollkommen logisch, dass die grossen Zürcher Blätter auf Köppel & Co. derart abfuhren, zumal es sich ja auch um Zürcher Ständeratswahlen handelt. Magdalena Martullo war als Bündner Kandierende ja auch nur interessant, wie sie Zürcherin ist. Dass sich aber die SRG so verhielt, die der ganzen Schweiz mit Gebührengeldern und Service-public-Auftrag verpflichtet ist, müsste diese eigentlich erklären.

Folgerichtig ist auch, dass die Stimmung erst kippt, wenn man auch ausserhalb Zürichs die Sensation wittert. Der 36-jährige Glarner Grüne Mathias Zopfi, der schon früh am Sonntagnachmittag den bisherigen SVP-Vertreter aus dem Ständerat kippte, war im nationalen Fernsehen die Sensation des Abends und am Morgen danach im «Tages-Anzeiger» der «Held des Tages». In der NZZ wurde er flugs zu einem der «spannendsten Newcomer in Bern» erklärt, zusammen mit dem Bündner Sozialdemokraten Jon Pult, der es locker in den Nationalrat geschafft hatte. Aus den vormals Unbeachteten werden plötzlich Shootingstars.

Schade. Denn die Randgebiete haben auch während der flauen Zeiten einiges zu bieten. Der Bündner Ständerat Stefan Engler, dessen glänzende Wiederwahl national nur eine Fussnote war, hat im Ständerat als Mitglied und baldiger Präsident wichtiger Kommissionen viel Einfluss. Dank ihm dürfte das Ringen um die Konzernverantwortungs-Vorlage zu einem guten Ende kommen. Er und sein Ratskollege Martin Schmid gelten als permanente Bundesratskandidaten – welcher Kanton kann dies von seiner kompletten Ständeratsdelegation behaupten? Glarner Parlamentarier haben in Bern stets für Furore gesorgt, vom ehemaligen Preisüberwacher Werner Marti über den cleveren BDP-Chef Martin Landolt bis zum legendären This Jenny. Und Zürich? Jositsch hat sich vor allem als rechtes Korrektiv zum sozialistischen Parteichef Levrat profiliert und Noser als freisinniger Anhänger der Gletscherinitiative. Naja.

Zum Glück hat die Schweiz noch ihre Berg- und Randgebiete. Sonst wäre Zürich vollkommen führungslos.

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