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Bagdad 2020 ist kein Sarajewo von 1914

Andrea
Masüger
12.01.20 - 04:30 Uhr

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Der Dritte Weltkrieg wurde inzwischen abgesagt. Der amerikanische Präsident hat am Mittwochabend, Ortszeit, überraschend milde auf die Raketenangriffe der Iraner auf US-Ziele reagiert. Alles ist wieder im normalen Bereich ...

Es gibt tatsächlich Leute auf dieser Welt, welche die «Eliminierung» des iranischen Generals Qassem Soleimani auf dem Flughafen von Bagdad mit dem Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger im Jahre 1914 in Sarajewo verglichen haben. Dieser Anschlag eines serbischen Nationalisten auf Franz Ferdinand gilt in einer verkürzten Sicht als Beginn des Ersten Weltkriegs. Doch was hat ein iranischer General mit einem Erzherzog einer (damaligen) Grossmacht zu tun? Und wieso sollte sein Tod einen Weltkrieg auslösen?

Die Gleichung ist einfach: Im Nahen und Mittleren Osten sind viele Länder feindlich verstrickt, und wenn da eine Symbolfigur eines Regimes getötet wird, bricht ein Krieg aus. Eine 18-jährige Schülerin aus München hat dies auf der Sozialen Plattform Tiktok (die übrigens aus China kommt...) wie folgt erklärt: Die Amerikaner haben Soleimani getötet und damit wird die Nato in den Konflikt mit Iran hineingezogen. Deshalb werden dann die Chinesen und die Russen Iran helfen. Das gibt den Dritten Weltkrieg. Und weil Iran viele Atomwaffen hat, ist sozusagen auch das zweite Hiroshima programmiert. Undsoweiter.

Das Dumme ist, dass diese Schülerin, die üblicherweise Tanzvideos und Tipps für die Schule und fürs Kochen ins Netz stellt, auf Tiktok, Instagram und Youtube über drei Millionen Follower hat. Wenn sie sich also mal aufs historische und aufs politische Parkett wagt, haben ihre Kriegsfantasien eine enorme Wirkung. Der Hashtag #WWIII oder die Suchbegriffe «World War 3» oder «Dritter Weltkrieg» verbreiteten sich in den letzten Tagen explosionsartig. Da nützte es auch nichts, dass sich viele Beiträge über Kriegsszenarien lustig machten, viele fürchteten tatsächlich die dritte Kriegskatastrophe innerhalb von hundert Jahren. Die Website der amerikanischen Streitkräfte, die für die Mobilmachung der US-Soldaten zuständig ist, war zeitweilig völlig überlastet.

Nun kann man dies als eine Art Kollateralschaden der sozialen Medien abtun. Jedermann kann dort behaupten, die Iraner verfügten über Atombomben, und wer es glaubt, ist selber schuld. Eine Massenpanik kann aber auch in anderen Fällen verheerende Auswirkungen haben. Zudem haben auch die traditionellen Medien diesen Hype beflügelt. In manchen Zeitungen und auf vielen TV-Sendern wurden nach dem Anschlag auf den General apokalyptische Zukunftsszenarien verbreitet, die Welt in Flammen geschildert. Dazu gehört auch die Behauptung, es handle sich um einen hohen, wenn nicht gar den höchsten General Irans, doch Soleimani bekleidete als Generalmajor bloss einen mittleren Generalsrang. Es gab eben in diesen ersten Tagen des neuen Jahres keinen anderen Aufreger.

Die mediale Logik verlangt aber endlich nach einem Kardinalfehler des amerikanischen Präsidenten, der nicht nur die USA, sondern die ganze Welt ins Chaos stürzt. Doch Trump ist nicht auf der ganzen Linie unberechenbar. Seine neueste Deeskalationstaktik kam zum richtigen Zeitpunkt, wird aber auch wieder als Schwäche und gescheiterte Strategie ausgelegt. Wer meint, im Weissen Haus sässen ausschliesslich Idioten, denkt auch nicht viel differenzierter als die junge Tiktokerin aus München.

Die Schweiz betätigt sich seit 40 Jahren als Vermittlerin zwischen Washington und Teheran. Kürzlich brachte sie einen Gefangenenaustausch zustande. Im Fall Soleimani spielte sie Briefträgerin zwischen den Streitparteien. Ende Januar wird Donald Trump am WEF in Davos vielleicht Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga treffen. Trump mag die Schweiz. Das wären bessere Schlagzeilen als ein Dritter Weltkrieg.

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