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Churchill müsste einfach nur herzlich lachen

Andrea
Masüger
12.04.20 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Mit «Blut, Schweiss und Tränen» schwor Churchill die Bevölkerung des Vereinigten Königreiches auf den Zweiten Weltkrieg ein. Die damalige Botschaft war klar: Es wird hart und opferreich werden.

Wenn man sich die Appelle der Behörden anhört, die davor warnen, über Ostern in den Süden zu fahren, wird man unwillkürlich daran erinnert. An den Corona-Medienkonferenzen im Bundeshaus wurde in den letzten Tagen in schon fast penetranter Weise dazu aufgerufen, unter allen Umständen still zu sitzen. «Bleibt daheim» ist das tägliche Ceterum censeo des Daniel Koch. Am Mittwoch sah sich der Zürcher Stadtrat genötigt, die Bewohner aufzufordern, die Stadtmauern nicht zu verlassen und Auswärtige zu bitten, selbige nicht zu betreten. Die Stadt Luzern hat ihre Flanierzonen gesperrt. Überall patrouilliert die Polizei.

Geradezu dramatisch waren die Worte von Stefan Blättler, Präsident der kantonalen Polizeikommandanten, vom Dienstag: Leisten Sie alle einen Beitrag! Verzichten Sie für einen Moment auf Reisen! Verschieben Sie Ihren Töffausflug auf bessere Zeiten! Wortwahl und Gestus der behördlichen Rituale erinnern dabei frappant an die berühmt gewordene Churchillsche Beschwörung der Körpersäfte. In diesen Aufrufen schwingt eine Dramatik mit, die annehmen lässt, die Gesellschaft befände sich in der allergrössten Notlage, in einer schier ausweglosen Ausnahmesituation. Es wird suggeriert, dass der kurzfristige Verzicht auf die Bewegungsfreiheit einem tiefen Einschnitt ins Leben gleichkommt und eine fast unzumutbare Belastung der Grundrechte darstellt.

Befeuert wird diese Haltung durch allerhand Wohlstandsphilosophen, die derzeit in den Zeitungsspalten ihren Kulturpessimismus breitwalzen. Da liest man gestelzte Betrachtungen von Rechtsprofessoren über die Problematik von Notrecht, von der Gefahr der willkürlichen Anwendung der Polizeigeneralklausel der Verfassung und von der Bürgerpflicht, die Regierung in die Schranken zu weisen. Und der italienische Starphilosoph Giorgio Agamben wird nicht müde, wegen der behördlichen Auflagen den Untergang des freiheitlichen Abendlandes an die Wand zu malen.

Diese Dramatik wird schon fast zur Karikatur der Wirklichkeit. Es geht ja darum, dass wir für einmal unsere ohnehin schon ausufernde Bewegungsfreiheit ein kleines bisschen einschränken sollten. Die schrankenlose Infrastrukturnutzung muss für ein paar Tage der Gesundheitsprävention weichen. Die totale Verfügbarkeit von allem und jedem kann nur das Ziel einer total individuumszentriert-egoistischen Gesellschaft sein. Und da kommt schnell der Verdacht auf, dass wir das längst schon sind.

Eine Bitte an alle, die ihr uns sagt, was zu tun ist: Redet uns nicht ein, dass wir ein Jahrhundertopfer bringen müssen. Dass wir gezwungen sind, grundlegende Freiheitsrechte freiwillig aufzugeben. Dass ihr es zutiefst bedauert, uns derart knechten zu müssen. Dass ihr es versteht, dass der Verzicht auf eine Töfffahrt ins Blaue einem fast unzumutbaren Opfer gleichkommt.

Unsere Gesellschaft hat es verlernt, mit Gefahren umzugehen. Sie fühlt sich unter der Käseglocke des allumfassenden, vom Staat rückversicherten Schlaraffenlands. Wenn wir in den Skiferien in einem Dorf ein paar Tage ausharren sollen, weil eine Lawine die Zufahrt verschüttet hat, verlangen wir subito nach einem Helikopter, der uns nach Hause fliegt. Gefahr und Gefahrenprävention ist etwas Abstraktes geworden, das vielleicht noch für den Nahen Osten oder für Afrika gilt. Unsere Überlebensreflexe, die rechtzeitig signalisieren, was wann zu tun ist, sind eingeschläfert.

Bleiben wir auf dem Teppich. Es geht nicht um Blut und nicht um Schweiss. Allenfalls um ein kleines Tränlein.

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