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Waldbaden

Christian
Ruch
21.09.19 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Das Wort Achtsamkeit ist irgendwie inflationär geworden. Gut, es gibt Situationen, in denen man durchaus achtsam sein sollte. So etwa wenn wir Männer dank Pizzakurier dem samstagabendlichen Hungertod – laut Statistik Todesursache Nr. 1 unter Strohwitwern – entrinnen möchten, aber nicht bemerken, dass das Pizzafett bereits durch den Karton drückt. Und so auf dem edlen Arvenholztisch – ein Erbstück vom Engadiner Nani – unschöne Gebrauchsspuren hinterlässt, was zu nicht minder unschönen Partnerschaftsdiskussionen mit unserem heimgekehrten Schätzli führt, dummerweise die Enkelin besagten Nanis.

Neuerdings soll man sogar im Wald achtsam sein. In ihn geht man nicht mehr nur, weil der Hund raus oder die Kilos runter müssen, sondern man frönt dem neuen Trend «Waldbaden». Er kommt aus Japan und heisst dort «Shinrinyoku». Ein tolles Wort für die nächste Scrabble-Runde, weil man das blöde Y loswird. Beim Waldbaden wird der Wald bewusst und achtsam wahrgenommen. Supi ist auch, dass es beim Waldbaden «nicht notwendig» sei, «sich körperlich sehr anzustrengen». Das hört man gern, und da viele Wälder in der Schweiz über gut ausgebaute Zufahrtsstrassen und Parkplätze verfügen, muss man sich nicht einmal vorher körperlich anstrengen. Sie, schliesslich hat jede Badi einen Parkplatz, da dürfen wir Waldbadenden in unseren SUVs das ja wohl auch in Anspruch nehmen.

Gerade heute sollten wir alle waldbaden, denn in New York beginnt die UN-Klimakonferenz. An der Europa ausser der angeblich emissionsfreien Schwedengretel nicht wahnsinnig viel vorzuweisen hat. Umso wichtiger ist es, dass wir wenigstens beweisen können, wie achtsam wir im Wald unterwegs sind. Ganz eins werden mit der Natur. Dass wenn sagen wir mal die Colaflasche im Rucksack nicht ganz dicht ist und es leise an uns heruntertropft, wir uns in den Baum einfühlen können, an dem unser Hund sein Beinchen hebt.

Übrigens habe ich gelesen, dass besonders Frauen beim Waldbaden gern Bäume umarmen. Sich in sein Moos kuscheln und sich wahrscheinlich fragen, ob so ein Baum nicht der bessere Partner wäre. Ich finde, das hat was. Er duftet gut, ist angenehm geräuscharm und vor allem bestellt er nie was Fettiges beim Pizzakurier.

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