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Zügeln

Christian
Ruch
11.01.20 - 04:30 Uhr

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Ich hoffe, Sie sind sich im Klaren darüber, welches Glück Sie haben, dass diese Kolumne überhaupt erscheint. Die Lieblingsbündnerin und ich haben nämlich gezügelt, und damit geht das Problem schon los: Haben wir gezügelt oder sind wir gezügelt? Wir Deutschen benutzen ja das Verb «umziehen». Das hat etwas Unbeschwertes. «Umziehen» tönt nach schnellem Kleiderwechsel, nach sorgenfreien Mietnomaden, die nach der dritten erfolglosen Mietpfändung einfach zur nächsten Hartz-IV-Oase ziehen.

Mit «Zügeln» können Deutsche hingegen nichts anfangen. Sie fragen sich insgeheim, ob etwa eine Diät, also das Zügeln des Appetits bevorsteht oder ob man neuerdings Besitzer eines Reitpferds ist. Nichts von alledem! Zügeln heisst zügeln, weil die Zügellosigkeit des Alltags ein Ende hat. War es immer ziemlich egal, ob der Staub über den Fussboden flockt, ist nun ganz schnell Schluss mit lustig, wenn er bei der Wohnungsabnahme immer noch flockt. Dann muss so lange nachgereinigt werden, bis die eidgenössischen und kantonalen Wohnungsabnahmesauberkeitsrichtlinien erfüllt sind. Ich fände es wichtig, dass es für uns Ausländer Wohnungsabnahmevorbereitungskurse gäbe, in denen mit aller Deutlichkeit gesagt würde, dass ein dreimaliger erfolgloser Wohnungsabnahmeversuch durchaus ein Ausschaffungsgrund ist.

Hat bzw. ist man dann gezügelt, geht das Abenteuer weiter. Ich sitze jetzt gerade in der Talsohle eines Canyons mit steil aufragenden Umzugskartonwänden, die jederzeit dermassen über mir zusammenbrechen können, dass dagegen die Hauptverwerfung in der Tektonik-Arena Sardona ein Klacks wäre. Wobei so ein sogenannter Kartonsturz den Vorteil hat, dass man sieht, was drin ist. Die Lieblingsbündnerin und ich verdödeln nämlich momentan viel Zeit damit, die Kartons nach dem gerade Wichtigen zu durchsuchen, und es treibt uns Tränen der Rührung in die Augen, wenn wir in einem Karton, in dem wir die vierbändige «Geschichte des Urchristentums» vermuten, frische Klamotten finden, die wir ehrlich gesagt viel dringender brauchen als das Urchristentum.

Wahrscheinlich vermeiden die Schweizer drum das Wort «umziehen» – weil man nach dem Zügeln ewig nichts findet, um sich endlich mal umziehen zu können.

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