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Die einstige Slalomfahrerin im Speed-Anzug

Südostschweiz
01.03.21 - 13:47 Uhr

Spitzensport – für die meisten Athletinnen und Athleten bedeutet dies harte Arbeit, Entbehrungen und eine grosse Portion Leidenschaft. Im Format «Sportlerblog» schreiben junge Bündner Sporttalente über ihren Weg an die Spitze.

von Luana Flütsch*

Es gibt Tage, an denen ich meinen Job und mich als Person ein wenig genauer hinterfrage. Tage, an denen mir allem etwas bewusster werde. Eine Art Reflektion von Zeit zu Zeit, die mir entweder Vertrauen und Bestätigung schenkt, oder aber innere Konflikte, Wünsche und Unstimmigkeiten aufzeigt. Druck ist ein konstanter Begleiter eines Sportlers, deshalb konzentriert man sich oft nur auf den Moment, auf den nächsten Lauf, die nächste Kniebeuge oder die nächste Einheit. Dies ist auch gut so, denn den Fokus braucht man hier und jetzt und nicht morgen oder übermorgen.

Jedoch wird vieles auch unterdrückt. Gedanken, die jetzt nicht hier hingehören, werden quasi geschluckt. Denn die Zeit, sie zu werten und einzuordnen, fehlt. Das kann lange Zeit gut gehen – sowieso wenn es gut läuft. Denn dann funktioniert alles von alleine, sei es im Sport oder neben der Piste. Jeder kennt das Gefühl, im Flow zu sein, wenn die Zeit wie im Flug vergeht und jede Bewegung, jede Entscheidung und jedes Vorhaben gelingt und das ohne zusätzliche Anstrengungen. Wohl einer der besten und wünschenswertesten Zustände und doch hält auch dieser nicht ewig. Denn die gegensätzliche Gemütslage gehört leider genauso dazu. Geduld und Vertrauen werden auf die Probe gestellt. Oftmals sind es mehrere Faktoren, die dich von deinem Weg abzubringen drohen, die dich zweifeln lassen und verunsichern wollen.

Bei mir äussern sich solche Stimmungen teils intensiv und ich ende bei grundlegenden Fragen. Weshalb bin ich keine Slalomfahrerin mehr? Ist der Zug definitiv abgefahren? Gäbe es noch einen Weg? Wieso ist es so wie es ist und ist es gut so? Ich habe die Eigenschaft, mich sowohl in positiven aber auch in negativen Gedankengängen zu verlieren. Es sind nicht direkt Zweifel, vielmehr Sinnfragen. Glücklicherweise bin ich von Natur aus Optimistin und voller Tatendrang, sodass ich gelernt habe, Situationen auch einmal zu akzeptieren und daran zu glauben, dass es gut so ist wie es ist. Und wenn etwas doch nicht gut ist, setzte ich alle Hebel in Bewegung, um es für mich passend zu gestalten.

Nicht werten, sondern akzeptieren

Aber weshalb genau diese Fragen? Der Slalom ist seit jeher meine Herzensdisziplin, ich glaube sogar eine meiner ursprünglich stärksten. Doch Slalom ist auch die Disziplin, welche am meisten spezifisches Training braucht. Deshalb sind auch viele gute Slalomfahrer- und Fahrerinnen reine Slalomspezialisten. Durch meine Verletzungsgeschichten und das plötzlich entdeckte Potenzial in den Speed-Disziplinen hat mein Weg eine andere Richtung eingeschlagen. Keine schlechtere, aber eine andere. Aufgrund grosser Probleme mit dem Schienbein war es für mich beinahe unmöglich Slalom zu fahren und das über fast drei Jahre. Vermehrt am Start von Super-G und Abfahrtsrennen und den darauffolgenden Erfolgen landete ich letztlich im Speed-Team, wo ich immer noch bin.

Der Weg und die Ziele sind längst definiert und verinnerlicht, doch schmerzt es auch heute noch manchmal, fast keinen Slalom mehr zu trainieren. Und fast noch schmerzlicher ist die Tatsache, dass ich manchmal mit sehr wenig Training bereits schnell bin. Das sind Gedanken, welche ich versuche, nicht zu werten, sondern einfach zu akzeptieren und einfach jeden Tag, den ich mit kurzen Skier unterwegs bin, zu geniessen. Es ist nicht so, dass ich Super-G oder Abfahrt weniger gerne fahre. Vielmehr ist es, als ob man mir etwas weggenommen hätte. Doch um wirklich erfolgreich sein zu können und mich im Weltcup zu etablieren, gilt es den Fokus auf eine Richtung zu setzen – und zwar zu 100 Prozent. Das Hin- und Her zwischen allen Disziplinen macht momentan keinen Sinn.

Fokus durch Lockerheit

Skifahren ist ein Einzelsport und dennoch sind wir ausser am Start immer im Team unterwegs. Das ganze Jahr wird das Zimmer geteilt und somit auch jegliche Stimmungen – was nicht immer einfach ist. Ein Wechselspiel von Emotionen, Konkurrentinnen und Freundinnen. Unterschiedliche Charakteren treffen aufeinander und sollten direkt zusammen funktionieren. Ein guter Teamspirit ist deshalb Gold wert und beeinflusst auch die einzelnen Leistungen. Persönlich ist mir ein guter Zusammenhalt innerhalb des Teams ungemein wichtig und dafür investiere ich auch gerne etwas mehr. Ich war noch nie die Person, welche gerne nur allein ist und sich vom Rest des Teams abschottet, sei es im Training oder im Rennen. Humor ist mir extrem wichtig, nichts geht über einen lustigen Spruch am Start oder Unterhaltungen, die mich zum Lachen bringen und die sonst so angespannte Stimmung etwas aufzulockern. Das ist meine Art von Fokus. So fühle ich mich am wohlsten. Mit einem Lächeln im Gesicht. Für manche mag das unprofessionell wirken, denn am Start muss doch Ruhe herrschen. Doch Spass am Leben zu haben, egal ob auf oder neben der Piste, ist am Ende doch das Wichtigste, oder?

*Luana Flütsch aus St. Antönien ist Skirennfahrerin im B-Kader von Swiss Ski. Die 25-Jährige, die in ihrer Karriere immer wieder durch Verletzungen ausgebremst wurde, schreibt für «suedostschweiz.ch» über ihre Mission, sich im Weltcup zu etablieren.

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