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Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt

Single
Bock
19.02.20 - 04:30 Uhr
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: Die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen. (Goethe)
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: Die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen. (Goethe)
PEXELS

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Der US-amerikanische Dichter und Schriftsteller Charles Bukowski hat mal gesagt: «Das Problem dieser Welt ist, dass die intelligenten Menschen so voller Selbstzweifel und die Dummen so voller Selbstvertrauen sind». Damit hat er den Nagel für mich auf den Kopf getroffen und die Krux meines Singledaseins perfekt formuliert. Immerhin – der Optimist in mir sagt sich da: «Hey, du bist offenbar intelligent», meine ganzen anderen Persönlichkeiten nehmen zwar die Selbstzweifel wahr, relativieren dann aber den Zusammenhang mit dem Intellekt. Wie dem auch sei: Ausgeprägte Selbstzweifel sind wohl der grösste Bremsklotz, den ich mit mir rumschleppe. In vielerlei Hinsicht – am meisten aber wohl, wenn es darum geht, mich, mein Gemüt, meine Persönlichkeit und meine Erscheinung im alltäglichen Kampf gegen das Singledasein möglichst positiv zu verkaufen.

Es kommt ab und an vor, dass ich Menschen, wenn ich sie etwas besser kennengelernt habe, von meinen Unsicherheiten erzähle. Häufig ist mein Gegenüber dann überrascht und es fallen Sätze wie: «Du? Aber warum denn? Du strotzt doch nur so vor Selbstvertrauen.» Es ist offenbar so, dass meine zugängliche Art und mein loses Mundwerk eine auf den ersten Blick undurchschaubare und fancy glänzende Fassade aufzubauen vermögen.

Ich bin eine Rampensau und stehe gerne im Mittelpunkt – solange ich von meinem Umfeld positives Feedback erhalte. Ich bin der Clown, der gerne unterhält. Der Clown, der glücklich ist, wenn er die Leute um sich herum zum Lachen bringt. «Let me entertain you» hat Robbie Williams gesungen – Soundtrack of my life.

Im stillen Kämmerlein fällt diese Fassade dann regelmässig in sich zusammen. Dann sitze ich alleine da und arbeite mental an meiner Mängelliste. Ich hinterfrage alles, was ich erreicht habe, relativiere mich und meine Leistungen und suche (und finde) Gründe, mich für sehr durchschnittlich zu halten. Kurz zusammengefasst: Ich suche so lange nach dem Haar in der Suppe, bis ich es gefunden habe. Die Psychologie nennt das Hochstapler- oder Impostor-Syndrom (vom englischen Wort für Betrüger). Impostoren halten sich selbst für Hochstapler und fürchten sich vor dem Moment, wenn ihr vermeintlicher Bluff auffliegt. Dass da kein Bluff ist und entsprechend nichts auffliegen kann, negieren sie geflissentlich.

Ratschläge habe ich dazu schon häufig erhalten. Von Familie, Freunden, Bekannten und Ratgebern in Zeitschriften oder online – gefragt und ungefragt. Das Problem: Ratschläge sind oft halt einfach auch nur Schläge. Sätze wie «wie soll jemand anderes dich lieben, wenn du dich selbst nicht liebst?» oder «du darfst dein Glück nicht von der Meinung anderer abhängig machen» kann ich nicht mehr hören und sie helfen auch nicht. Im Gegenteil.

So sehr diese Ratschläge nerven – unwahr sind sie halt auch nicht. Nur das Umsetzen fällt einfach schwer. Einerseits ist mir bewusst, dass sich wohl keine Frau auf mich einlassen wird, wenn sie davon ausgehen muss, mich immer wieder auffangen und mein Selbstwertgefühl wieder aufbauen zu müssen. Mir ist klar: Den grössten Teil der Aufbauarbeit muss ich selbst machen. Das war schon immer so und das wird auch immer so sein. Es wäre aber toll, hin und wieder jemanden zu haben, der einen beim Rudern gegen den Strom mit positiven Zurufen anfeuert. Es rudert sich einfacher, wenn man weiss, dass da jemand ist, der einen unterstützt. Als Gegenleistung biete auch ich moralische Unterstützung in schweren Momenten, Erheiterung, wenns mental mal regnet und volle Arbeitskraft beim Erbauen aller möglichen Luftschlösser. Versprochen. Und zudem mache ich die wohl beste Bolognese der Welt.

Übrigens: Einer der Online-Ratschläge für Impostoren lautet: «Schreiben Sie ein Tagebuch». Ich tue das. Im Zweiwochenrhythmus. Mit Euch. Ihr lest von mir. Auch versprochen.

Bis bald, euer Singlebock

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Wow, welch ein treffendes Zitat, das mich auf eine überraschende Art und Weise berührt. Überraschend daher, weil ich mit solch offenen und nachdenklichen Worten nicht gerechnet habe, als ich den neusten Eintrag geöffnet habe. Beachtlich oder eher bewundernswert von dir diese persönlichen Worte zu teilen und beruhigend schön, dass da draussen Menschen wie dich sind.
Und, es gibt sie, Frauen (wie auch Männer), die bereit sind immer und immer wieder seinen Partner aufzufangen. Kopf hoch!

Die zentrale Frage ist, wie man Gleichgesinnte findet (es gibt da draussen etwa 8 Milliarden, ich kenne vielleicht 8, zu wenig und vor allem insgesamt zu unspezifisch). Darüber sollte es einen Blog, eine Homepage, eine Mondays-for-future-Bewegung geben.

Zitat Alain Delon: Das Problem bei den Minderwertigkeitskomplexen ist, dass die falschen Leute sie haben.