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Wie man eine Monarchie rettet oder wie sie zerbröselt

Andrea
Masüger
19.01.20 - 04:30 Uhr

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Als König Ludwig III. von Bayern am Nachmittag des 7. Novembers 1918 auch angesichts der damaligen Arbeiterunruhen in München seelen-ruhig durch den Englischen Garten spazierte, trat ein besorgter Passant an ihn heran und sagte: «Geng’s heim, Majestät, wir ham Revolution!» In der folgenden Nacht erklärte der Sozialist Kurt Eisner Bayern zum Freistaat. Die 738-jährige Herrschaft der Wittelsbacher war vorbei.

Seither gibt es in Europa nur noch wenige Monarchien. Zuerst hatte man ihnen Ver-fassungen und republikanische Strukturen aufgezwungen (weshalb Ludwigs Vor-vor-vor-vorgänger die Königswürde entnervt an seinen Sohn weitergab), und nach dem Ersten Weltkrieg machte man fast überall mit kaiserlichem und königlichem Pomp und Hof-zeremoniell tabula rasa. Doch zwei Monarchien haben sich einigermassen gut über die Runden gerettet: jene von Grossbritannien und jene des Vatikans.

Doch bei beiden gibt es Auf- lösungserscheinungen. In Grossbritannien kommt die schleichende Zersetzung aus dem Innern der Monarchie selbst. Die Enkel der Königin mögen nicht mehr so recht. Prinz Harry und seine Frau wären lieber ein bisschen in Kanada und können mit der steifen höfischen Etikette nichts anfangen. Sie möchten ein bürgerliches Leben und wären allenfalls für eine Art Teilzeit-Monarchie zu haben. Es ist unverkennbar: Die Krone bröckelt und ihre Diamanten fallen aus der Fassung.

Und der Pontifex Maximus in Rom, der Kaiser eines grossen Teils der Christenheit, kämpft mit der Abwanderung. Im Westen sind viele Schäfchen drauf und dran, ihrem Hirten wegzulaufen. In der Schweiz ist bereits fast ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos. Ein Fünftel bis die Hälfte der Eltern taufen ihre Kinder schon gar nicht mehr. Die weltabgewandte Debatte um das Zölibat und Missbrauchsskandale, gegen die nur halbherzig vorgegangen wird, erschüttern das Vertrauen in die Kirche.

Nun gibt es gescheite und dumme Strategien gegen den Zerfall. Elizabeth II. hat das Kunststück fertiggebracht, nach der Fahnenflucht ihres Enkels die Wogen mit salomonischen Massnahmen zu glätten. Sie zeigt Verständnis für den Wunsch des Prinzen und kommt ihm entgegen. Indem sie eine natürliche, emphatische Reaktion auf die Bedürfnisse eines modernen Menschen zeigt, schafft sie bei der Bevölkerung Goodwill. Mit ihrer im Grunde genommen antimonarchischen Kompromissbereitschaft sichert sie gerade die Monarchie, legitimiert sie als eine auch dem modernen Leben angepasste Staatsform. Châpeau, Majestät!

Der Papst hingegen macht Synode um Synode und entscheidet dann nichts. Er wirkt als Zauderer. Und sein Herrschaftssystem wird ebenfalls aus sich selber hinaus zerfressen: Ausgerechnet sein Vor-gänger gebärdet sich als Schatten-Pontifex und gibt sich als Mitpublizist eines Buches her, das den zögerlichen Reformwillen von Papst Franziskus torpediert. Zwar hat Benedikt in den letzten Tagen den Versuch unternommen, seine Rolle zu relativieren, doch der von ihm geschriebene Text lässt sich aus der Publikation nicht mehr tilgen: Sie ist eine Streitschrift für die Beibehaltung des Zölibats. Und schon früher behauptete er, die kirchliche Missbrauchsgeschichte habe ihren Ursprung in der 68er-Bewegung.

Damit passiert in Rom genau der umgekehrte Prozess von London. Die Monarchie wird nicht gefestigt, indem seine Träger dem modernen Menschen aufgeklärte Antworten geben, sondern sie wird zu-sätzlich geschwächt durch eine rückwärtsgewandte starre Dogmatik, die niemand mehr versteht. Wie soll ein Kirch-gänger heute die Theorie begreifen, dass ein Priester durch sein Amt und durch die Weihe mit der Kirche verheiratet ist und daher keine andere Beziehung mehr haben kann?

Benedikt arbeitet also tatkräftig mit an der Demontage der katholischen Kirche, obwohl er gerade das Gegenteil will. Bis er irgendwann auf einem Spaziergang in den Vatikanischen Gärten von einem Passanten angesprochen wird: «Geng’s heim, Euer Heiligkeit, die Kirchen soan leer.»

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